Roland Stöbe
Im Februar 2022 leitete die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland ein, weil diese die Hinweisgeberschutzrichtlinie (RL (EU) 2019/1937)1EUR-Lex (europa.eu). (nachfolgend: HinSchRL) nicht fristgerecht bis 17. Dezember 2021 umgesetzt hat. Am 19. September 2022 legte die Bundesregierung einen Gesetzentwurf2Entwurf eines Gesetzes für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen sowie zur Umsetzung der Richtlinie zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden, BT-Drs. 20/3442 (bundestag.de). zu einem Hinweisgeberschutzgesetz (nachfolgend: HinSchG) vor. Entsprechend einer Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses vom 14. Dezember 20223BT-Drs. 20/4909. verabschiedete der Bundestag nunmehr mit der Mehrheit der Stimmen der Ampelparteien und gegen die Stimmen der CDU/CSU und AfD, bei Stimmenthaltung der Fraktion DIE LINKE, dieses Gesetz mit geringfügigen, aber durchaus gewichtigen Änderungen. Dieses Gesetz muss jetzt noch durch den Bundesrat. Die Änderungen sollen nachfolgend näher beleuchtet werden. Hierfür ist jedoch erforderlich, das Anliegen und den Inhalt des geplanten Gesetzes vorab grob darzustellen.
I. Zweck des Gesetzes
Das Gesetz dient der (verspäteten) Umsetzung der HinSchRL. Es will den bislang nur lückenhaften und unzureichenden Schutz hinweisgebender Personen ausbauen und so den Hinweisgeberschutz verbessern. Hinweisgeber würden einen wichtigen Beitrag zur Aufdeckung und Ahndung von Missständen leisten können,4BT-Drs. 20/3442, Seite 1. allerdings aus Angst vor Repressalien häufig zurückschrecken, ihre Bedenken oder ihren Verdacht zu melden.5Erwägungsgrund 1 HinSchRL. Diese Benachteiligungen sollen ausgeschlossen und den Hinweisgebenden Rechtssicherheit gegeben werden.6BT-Drs. 20/3442, Seite 1. Es geht also um eine Verbesserung der Rechtsdurchsetzung durch Einrichtung effektiver, vertraulicher und sicherer Meldekanäle sowie durch Schutz der Hinweisgeber vor Repressalien.7Erwägungsgrund 3 HinSchRL.
Der deutsche Gesetzgeber beabsichtigt hierbei keine 1:1-Umsetzung der Richtlinie, sondern geht in Ausnutzung der Öffnungsklausel in Art. 2 Abs. 2 HinSchRL in einem „Stammgesetz“ über die Vorgaben der Richtlinie hinaus und erweitert insbesondere den Anwendungsbereich des Hinweisgeberschutzes.
II. Anwendungsbereich
Der persönliche Anwendungsbereich in § 1 Abs. 1 HinSchG ist bewusst weit gefasst und stellt als „hinweisgebende Personen“ alle natürlichen Personen unter Schutz, die im Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit oder im Vorfeld ihrer beruflichen Tätigkeit Informationen über Verstöße erlangt haben und diese an die nach diesem Gesetz vorgesehenen Meldestellen melden oder diesen offenlegen. Dies umfasst somit sämtliche hinweisgebenden Personen aus der Privatwirtschaft und den gesamten öffentlichen Sektor, somit z. B. auch „Freelancer“ oder (Mitarbeiter von) Lieferanten.8MMR-Aktuell 2022, 448308. Maßgeblich ist lediglich, dass ein Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit besteht.9Colneric/Gerdemann, Die Umsetzung der Whistleblower-Richtlinie in deutsches Recht, hsi-Schriftenreihe Band 34, Seite 32; MMR-Aktuell 2022, 448308. Unter der Begriffsbestimmung der „Beschäftigten“ in § 3 Abs. 8 HinSchG sind unter anderem ausdrücklich auch Beamte, Richter und Soldaten erwähnt.
Nach § 1 Abs. 2 HinSchG sollen jedoch nicht nur die hinweisgebenden Personen geschützt werden, sondern auch die Personen, die Gegenstand einer Meldung oder Offenlegung sind, sowie sonstige Personen, die von einer Meldung oder Offenlegung betroffen sind.
Der sachliche Anwendungsbereich umfasst gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 bis 10 HinSchG (in der Entwurfsfassung der Bundesregierung vor der Änderung durch den Rechtsausschuss waren es nur Nr. 3 bis 8) die Meldung und Offenlegung von Informationen aus enumerativ aufgezählten Bereichen, die teilweise der Richtlinie entnommen sind, teilweise den Katalog des Art. 2 Abs. 2 HinSchRL erweitern. Außerdem unterfallen dem sachlichen Anwendungsbereich gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 HinSchG auch Meldungen und Offenlegungen von Informationen über Verstöße, die strafbewehrt, und gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 HinSchG Informationen über Verstöße, die bußgeldbewehrt sind, letztere jedoch nur, soweit die verletzte Vorschrift dem Schutz von Leben, Leib oder Gesundheit oder dem Schutz der Rechte von Beschäftigten oder ihrer Vertretungsorgane dient. D. h., außerhalb des Katalogs des § 2 Abs. 1 Nr. 3 bis 10 HinSchG bedarf es für einen Hinweisgeberschutz zumindest einer Strafbewehrung oder einer Bußgeldbewehrung in qualifizierten Einzelfällen bezogen auf die gemeldeten oder offengelegten Verstöße.
III. Arten des „Hinweisgebens“
Gemäß § 7 HinSchG haben Hinweisgeber ein Wahlrecht, ob sie ihre Informationen an interne oder externe Meldestellen melden.
Gemäß § 12 Abs. 1 und 2 HinSchG haben Beschäftigungsgeber mit in der Regel mindestens 50 Beschäftigten die Pflicht, eine interne Meldestelle einzurichten.
Eine externe Meldestelle des Bundes wird gemäß § 19 Abs. 1 HinSchG beim Bundesamt für Justiz eingerichtet, die gemäß § 19 Abs. 4 HinSchG zuständig ist, soweit nicht die Zuständigkeit einer speziellen externen Meldestelle gemäß §§ 20 bis 23 HinSchG obliegt. Gemäß § 20 HinSchG können vor allem auch die Länder externe Meldestellen einrichten für Meldungen, die die jeweilige Landesverwaltung und die Kommunalverwaltungen betreffen.
Diese Meldestellen haben Meldekanäle zu errichten. Bei erfolgten Meldungen ist der Eingang zu bestätigen. Die Meldung ist, gegebenenfalls unter Einholung weiterer Informationen, zu prüfen. Sodann sind angemessene Folgemaßnahmen (z. B. Unterrichtung des Beschäftigungsgebers für interne Untersuchungen oder Verweis an zuständige Stellen) zu treffen.
In Ausnahmefällen (z. B. Notfälle) können gemäß § 32 HinSchG Informationen über Verstöße auch offengelegt werden.
IV. Vertraulichkeit
Nach einer Meldung sind die Meldestellen unter den Voraussetzungen der §§ 8 und 9 HinSchG zu Vertraulichkeit über die Identität der hinweisgebenden Person verpflichtet. Eine Vertraulichkeitsverpflichtung greift auch zugunsten der Person, die Gegenstand der Meldung ist, oder gegenüber sonstigen in der Meldung genannten Personen.
V. Schutzmaßnahmen
Kernstück der gesetzlichen Regelung sind die Schutzmaßnahmen in §§ 33 ff. HinSchG.
So kann z. B. die hinweisgebende Person gemäß § 35 HinSchG für die Beschaffung der Information nicht verantwortlich gemacht werden, solange die Beschaffung der Information keine eigenständige Straftat darstellt.10Thüsing/Musiol, DRiZ 2022, 486.
Die bedeutendste Schutzmaßnahme ist das Verbot von Repressalien in § 36 Abs. 1 HinSchG. Das Gesetz erläutert zwar nicht, was es unter „Repressalien“ versteht. Verboten dürfte aber auf jeden Fall jede Androhung von Repressalien oder der Versuch von Repressalien sein, die im Katalog des Art. 19 HinSchRL (nicht abschließend) genannt sind,11BT-Drs. 20/3442, Seite 98. wie z. B. Suspendierungen oder Kündigungen, Herabstufungen oder Versagungen von Beförderungen, Aufgabenverlagerungen, negative Leistungsbeurteilungen oder das Ausstellen eines schlechten Arbeitszeugnisses, Disziplinarmaßnahmen, Nötigungen, Einschüchterungen, Mobbing oder Ausgrenzungen, Diskriminierungen, Nichtumwandlungen von befristeten Arbeitsverträgen in unbefristete Arbeitsverträge oder Nichtverlängerungen oder vorzeitige Beendigungen von befristeten Arbeitsverträgen usw.
Dieses Verbot der Repressalien wird prozessual verstärkt durch eine Beweislastumkehr. Gemäß § 36 Abs. 2 HinSchG wird bei einer Benachteiligung der hinweisgebenden Person im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit nach einer Meldung oder Offenlegung vermutet, dass es sich bei dieser Benachteiligung um eine Repressalie handelt. Es hat dann der Benachteiligende zu beweisen, dass die Benachteiligung auf hinreichend gerechtfertigten Gründen basierte oder dass sie nicht auf der Meldung oder Offenlegung beruhte.
Bei einem Verstoß gegen das Verbot von Repressalien ist der Verursacher gemäß § 37 Abs. 1 Satz 1 HinSchG schadensersatzpflichtig und nach § 37 Abs. 1 Satz 2 HinSchG in der Fassung des Änderungsvorschlags des Rechtsausschusses auch entschädigungspflichtig für Schäden, die nicht Vermögensschäden sind.
Lediglich bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Meldung oder Offenlegung unrichtiger Informationen steht der von der Falschinformation betroffenen Person gemäß § 38 HinSchG ein Schadensersatzanspruch gegen den Hinweisgeber zu. Ein solcher Prozess dürfte jedoch äußerst risikobehaftet und schwer zu führen sein.12Dilling, CCZ 2022, 145.
VI. Neuerung: Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs auf verfassungstreuwidrige Äußerungen von Beamten
Eine ganz wesentliche Änderung, die über die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses in das Gesetz eingefügt wurde, ist die Erweiterung des sachlichen Anwendungsbereichs. § 2 Abs. 1 HinSchG wurde insbesondere um eine Nr. 10 ergänzt. Unter den Schutz des Gesetzes sollen dann auch Meldungen und Offenlegungen von Informationen fallen über „Äußerungen von Beamtinnen und Beamten, die einen Verstoß gegen die Pflicht zur Verfassungstreue darstellen“. Ganz bewusst hat der Gesetzgeber diese Erweiterung unter einer gesonderten Nummer eingeführt, damit auch Meldungen oder Offenlegungen von verfassungstreuwidrigen Äußerungen unterhalb der Strafbarkeitsschwelle unter den Hinweisgeberschutz fallen können.13BT-Drs. 20/4909, Seite 57. Ausweislich der Begründung versteht der Gesetzgeber unter dem Begriff der „Äußerung“ nicht nur schriftliche Äußerungen (z. B. in Chats), sondern auch mündliche Äußerungen und sogar bloße Gebärden.14BT-Drs. 20/4909, Seite 57.
VII. Neuerung: Anonymität
Eine weitere Änderung befindet sich in § 16 Abs. 1 HinSchG und in § 27 Abs. 1 HinSchG. Demnach müssen, obwohl hierzu gemäß Art. 6 Abs. 2 HinSchRL keine Notwendigkeit besteht, die internen und externen Meldestellen Meldekanäle vorhalten, die eine anonyme Kontaktaufnahme und Kommunikation ermöglichen. Soweit im Regierungsentwurf noch vorgesehen war, dass anonym eingegangene Meldungen nur bearbeitet werden „sollen“, wurde nunmehr eine Verpflichtung eingeführt, dass die Meldestelle anonym eingegangene Meldungen zu bearbeiten „hat“. Dies wird damit begründet, dass Anonymität grundsätzlich den größten Schutz für hinweisgebende Personen ermögliche und zur Verringerung der Hemmschwelle zur Abgabe einer Meldung beitrage.15BT-Drs. 20/4909, Seite 60.
VIII. Kritik
1. Die Einführung des § 2 Abs. 1 Nr. 10 HinSchG ist offenkundig unter dem Eindruck der Razzien gegen die Reichsbürgerszene erfolgt. Dies wird in der Begründung16BT-Drs. 20/4909, Seite 57. auch ausdrücklich erwähnt.
Zutreffend und selbstverständlich ist, dass Beamtinnen und Beamte eine besondere Pflicht zur Verfassungstreue haben. Sie müssen sich gemäß § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG und § 60 Abs. 1 Satz 3 BBG (Bundesrecht) durch ihr gesamtes Verhalten zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Einhaltung eintreten. Dies ist über Art. 33 Abs. 5 GG verfassungsrechtlich abgesichert. Das in der Begründung17BT-Drs. 20/4909, Seite 57. erwähnte Interesse, den öffentlichen Dienst von Personen freizuhalten, die die Existenz der Bundesrepublik Deutschland in Abrede stellen und die freiheitliche demokratische Grundordnung ablehnen, ist offenkundig berechtigt und bedarf keiner ernsthaften weiteren Erörterung.
Dennoch stellt sich die Frage, ob es geboten ist, den Schutz des öffentlichen Dienstes vor verfassungsfeindlichen Beamtinnen und Beamten über einen Schutz von Hinweisgebern wegen Meldungen oder Offenlegungen von bloßen Äußerungen über das HinSchG zu bewerkstelligen oder ob die Einführung der Nr. 10 in § 2 Abs. 1 HinSchG nicht vielmehr ein Fremdkörper im Gesamtgefüge des HinSchG darstellt.
Zum einen wird bewusst mit dem ansonsten in § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 HinSchG zutage tretenden Ziel gebrochen, die Meldung oder Offenlegung von Verstößen mit vergleichsweise geringem Unrechtsgehalt aus dem Anwendungsbereich des Whistleblowerschutzes auszunehmen.18Gerdemann, ZRP 2022, 98. Es sollen schließlich bewusst Äußerungen „unterhalb der Strafbarkeitsschwelle“19BT-Drs. 20/4909, Seite 57. geschützt gemeldet werden.
Auffallend ist zudem, dass unter den Hinweisgeberschutz nur Meldungen und Offenlegungen von „Äußerungs“-Verstößen fallen sollen. Sonstige Handlungen, die der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zuwiderlaufen, welche die Strafbarkeitsschwelle aber nicht erreichen, sollen dagegen nicht erfasst sein. An welche „Äußerungen“ der Gesetzgeber außerhalb des Bestreitens der Existenz der Bundesrepublik Deutschland gedacht hat, ergibt sich aus der Begründung nicht. Vielmehr scheint es dem Gesetzgeber darum zu gehen, von Äußerungen Kenntnis zu erhalten, aus denen er abzuleiten meint, dass der Äußernde eine verfassungsfeindliche Gesinnung haben könnte. Damit begibt er sich aber auf ein höchst gefährliches Spielfeld. Sollen z. B. bereits Meinungsäußerungen von Beamtinnen und Beamten zu einem Behördenversagen bei der Bewältigung der Flutkatastrophe im Ahrtal oder Meinungsäußerungen zu Übergriffen des Staates im Zusammenhang mit der Bewältigung der Corona-Pandemie Gegenstand schützenswerter Meldungen sein, bloß weil ausweislich des Verfassungsschutzberichts20Verfassungsschutzbericht 2021 (bund.de). aus einer solchen Kritik im Einzelfall möglicherweise auch eine „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ abgeleitet werden könnte, wenn sie sich denn (ggf. erst nach einer anschließenden genauen internen Prüfung) als „ständige Agitation gegen und Verächtlichmachung von demokratisch legitimierten Repräsentantinnen und Repräsentanten“ herausstellte?21Zur Kritik an der unscharfen Kategorie der „Verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates“: Murswiek, Verfassungsschutz: Wer delegitimiert hier wen?, LTO 24.11.2022 (lto.de). Steht ähnliches zu befürchten bei weiteren gesellschaftlichen Konfliktfeldern wie z. B. der Energiekrise, der Zuwanderungsfrage oder dem Krieg in der Ukraine, wenn Beamte Meinungen äußern, die dem Regierungsnarrativ widersprechen?
Hinzu kommt, dass der eigentliche Zweck des Hinweisgeberschutzes, nämlich die Notwendigkeit der Schaffung eines Schutzes vor Repressalien, in den Fällen von Äußerungen von Beamten, die einen Verfassungstreueverstoß darstellen können, deutlich weniger virulent ist, als in den sonstigen im HinSchG geregelten Fällen. Vollziehende Gewalt und Rechtsprechung sind gemäß Art. 20 Abs. 3 GG nämlich an Gesetz und Recht gebunden. Dass wegen falsch verstandener „Gefolgschaftstreue“22Zitat des vormaligen RiBVerfG Jürgen Kühling, wiedergegeben in Colneric, Betrifft Justiz März 2021, Seite 23. Hinweisgeber, die über verfassungstreuwidrige Äußerungen einzelner Beamter Meldungen machen, Repressalien des Beschäftigungsgebers zu befürchten hätten, dürfte angesichts dessen allenfalls in vernachlässigenswerten Einzelfällen vorkommen.
2. Die Änderungen in § 16 Abs. 1 und § 27 Abs. 1 HinSchG, wonach Meldekanäle für anonyme Kontaktaufnahmen und Kommunikationen eingerichtet werden und anonyme Meldungen auch bearbeitet werden müssen, können grundsätzlich nicht kritisiert werden. Es gibt keinen plausiblen Grund, warum es einem Adressaten gesetzlich erlaubt sein sollte, eine Meldung, die aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen anonym erstattet wurde, einfach zu ignorieren, insbesondere wenn diese Meldung wesentliche Informationen über potentiell schwerwiegende Verstöße enthält.23In Colneric, Betrifft Justiz März 2021, Seite 23. Hinweise sind nicht weniger relevant, nur weil sie anonym abgegeben wurden. Das Gegenteil kann richtig sein: Gerade wegen des nur unzureichenden Schutzes für hinweisgebende Personen, sind diese häufig nur dann dazu bereit, wesentliche Informationen preiszugeben, wenn sie die Identität nicht offenlegen müssen.24Dilling, CCZ 2022, 145.
Problematisch wird die Eröffnung anonymer Meldekanäle und die Pflicht zur Bearbeitung anonymer Meldungen nur dann, wenn die Meldung, wie in § 2 Abs. 1 Nr. 10 HinSchG, bloße „Äußerungs“-Verstöße (oder gar Gebärden) betreffen. In diesen Fällen mag die Eröffnung der Anonymität vielmehr als Verstärker eines Denunziantentums wirken mit ggf. fatalen beruflichen Auswirkungen für die Betroffenen. Für den von einer solchen anonymen Meldung Betroffenen ist dies im besonderen Maße tragisch, weil ihm selbst der ohnehin nur schwach ausgeformte Schutz über den Schadenersatz bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Falschmeldung gemäß § 38 HinSchG mangels Kenntnis des Hinweisgebers gänzlich versagt bleiben dürfte.
IX. Fazit
Die von den Ampelparteien über die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses noch kurz vor knapp im Hauruck-Verfahren eingefügte Änderung des § 2 Abs. 1 Nr. 10 HinSchG mag von nachvollziehbaren Motiven geleitet gewesen sein. Sie kippt aber das Kind mit dem Bade aus. Sie birgt nämlich die Gefahr übergriffiger Gesinnungsschnüffelei und Denunziantentums. Allein schon diese Gefahr wird Vorfeldwirkungen zeitigen in Form von Zurückhaltung selbst bei zulässigen Meinungsbekundungen. Am besten ist, in Amtsstuben wird nur noch über das Wetter und Fußball geredet. Die Regelung ist nicht Ausdruck einer wehrhaften Demokratie. Sie ist wegen ihrer Folgewirkungen vielmehr geeignet, den demokratischen Diskurs zu schädigen.
Endnoten
- 1
- 2
- 3
- 4BT-Drs. 20/3442, Seite 1.
- 5Erwägungsgrund 1 HinSchRL.
- 6BT-Drs. 20/3442, Seite 1.
- 7Erwägungsgrund 3 HinSchRL.
- 8MMR-Aktuell 2022, 448308.
- 9Colneric/Gerdemann, Die Umsetzung der Whistleblower-Richtlinie in deutsches Recht, hsi-Schriftenreihe Band 34, Seite 32; MMR-Aktuell 2022, 448308.
- 10Thüsing/Musiol, DRiZ 2022, 486.
- 11BT-Drs. 20/3442, Seite 98.
- 12Dilling, CCZ 2022, 145.
- 13BT-Drs. 20/4909, Seite 57.
- 14BT-Drs. 20/4909, Seite 57.
- 15BT-Drs. 20/4909, Seite 60.
- 16BT-Drs. 20/4909, Seite 57.
- 17BT-Drs. 20/4909, Seite 57.
- 18Gerdemann, ZRP 2022, 98.
- 19BT-Drs. 20/4909, Seite 57.
- 20
- 21Zur Kritik an der unscharfen Kategorie der „Verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates“: Murswiek, Verfassungsschutz: Wer delegitimiert hier wen?, LTO 24.11.2022 (lto.de).
- 22Zitat des vormaligen RiBVerfG Jürgen Kühling, wiedergegeben in Colneric, Betrifft Justiz März 2021, Seite 23.
- 23In Colneric, Betrifft Justiz März 2021, Seite 23.
- 24Dilling, CCZ 2022, 145.
4 Kommentare
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Also anlässlich der absoluten Looser-Performance der deutschen Nationalmannschaft inklusive Politikeinlage einer überbewerteten SPD-Funktionärin, am falschen Ort, zur falschen Zeit und mit wirren Inhalten im Rahmen ihrer Profilierungssucht, würde ich in keiner Behörde in Deutschland das Thema „Fußball“ mehr ansprechen. Und was das „Wetter“ angeht, so droht aus dem einfachen englischen Konversationsansatz gerade in Deutschland sowieso innerhalb von Minuten ein melodramatisches „Klima“-Thema zu werden, so dass sich auch hier jegliches Wort darüber dringend verbietet. Sprechen Sie doch einfach über Treibstoff- und Lebensmittelpreise …, da sich ihr Dienstherr gegebenfalls aufgrund seines Chauffeurbewegten Dienstfahrzeugs in solchen Einzelheiten in der Regel nicht auskennt und das Thema interessant finden könnte.
Leider hat der Text einen groben Fehler. In der Amtsstube über das Wetter(Klimaleugner) oder Fußball (Katar, Armbinden) zu sprechen ist auch nicht mehr möglich.
Sind Legislative. Exekutive, Jurisdiktion und Pressefreiheit zusammengebrochen, was ist dann ein Effundat,
das zum Sykophantentum ermuntert ?!
Déjà-vu, schlechter Traum oder neuer Zeitgeist?
„Das Denunziantentum blühte im nationalsozialistischen Reich. Es war ein Massenphänomen. Ohne Denunziationen – die zahllosen freiwillig erfolgten Anzeigen von missliebigem Verhalten – hätte es der nationalsozialistische Überwachungsstaat niemals vermocht, die ganze Gesellschaft mit seinem Terror zu durchsetzen. Die schwammigen Begriffe im „Heimtückegesetz“ ermöglichen es, nahezu jede kritische Äußerung zu ahnden. „Wer öffentlich gehässige, hetzerische oder von niedriger Gesinnung zeugende Äußerungen über leitende Persönlichkeiten des Staates oder der NSDAP, über ihre Anordnungen oder die von ihnen geschaffenen Einrichtungen macht…“ konnte mit Gefängnis von unbestimmter Dauer bestraft werden, aber auch mit dem Tod. Nach der Kriminalstatistik von 1933 wurden 3.774 Verstöße gegen das Heimtückegesetz geahndet. Nach einer Statistik für 1937 wurden 17.168 Personen wegen Äußerungen denunziert, über 7.000 angeklagt und etwa 3.500 verurteilt – in Friedenszeiten. In den ersten vier Kriegsmonaten 1939 verhängte die deutsche Justiz „lediglich“ 220 Todesurteile, 1941 waren es bereits 1.109 und Ende 1942 stieg die Zahl auf 3.002 an. In den folgenden Jahren wurden keine Statistiken mehr geführt.
Dennoch galt auch zur Zeit des Nationalsozialismus sie Denunziation als unehrenhaft. In einer Vorschrift hieß es: „Anzeigen gegen Beamte dürfen nur dann beachtet werden, wenn der Anzeigende nicht als Nachfolger des zu Entfernenden in Betracht kommt.“ Trotzdem sahen darin viele die Chance des Aufstiegs und die Eroberung des Postens des Denunzierten.“ Aus:
http://www.rothenburg-unterm-hakenkreuz.de/das-denunziantenunwesen-wurde-im-ns-alltag-und-im-krieg-gefoerdert-und-kam-zu-voller-bluete-und-bluehte-auch-danach/