KRiStA – Netzwerk Kritische Richter und Staatsanwälte n.e.V.

Schadensersatz für Corona-Impfschäden (2. Teil)

Haftungstatbestände

Manfred Kölsch

Wie im ersten Teil dieser Abhandlung gezeigt, ist die „Verordnung zur Sicherstellung der Bevölkerung mit Produkten des medizinischen Bedarfs bei der durch das Coronavirus SARS-CoV-2 verursachten Epidemie“ (MedBVSV) verfassungswidrig. Die in dieser Verordnung enthaltenen Suspendierungen von tragenden Teilen des Arzneimittelgesetzes (AMG), u. a. des § 84 AMG, sind daher nichtig.

Nachfolgend kann deshalb nunmehr ein Überblick über Anspruchsgrundlagen gegeben werden, die zum Ersatz von Schäden an Leben und Gesundheit – verursacht durch eine Impfung gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 – führen können.

A.

§ 84 Arzneimittelgesetz (AMG)

1.

§ 84 Abs. 1 Arzneimittelgesetz (AMG), die zentrale Haftungsvorschrift im AMG, enthält einen Gefährdungshaftungstatbestand, der 1976 – nach dem Contergan-Skandal im Jahre 1973 – eingeführt worden ist.

Der verschuldensunabhängige Haftungstatbestand setzt voraus, dass

a) das Arzneimittel (Impfstoffe sind Arzneimittel, vgl. § 4 Abs. 4 AMG) bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen hat, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen;

b) Schäden ihre Ursache im Bereich der Entwicklung oder Herstellung oder

c) in einer nicht den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entsprechenden Kennzeichnung, Fachinformation oder Gebrauchsinformation haben und

hierdurch ein Mensch getötet oder in seiner Gesundheit nicht unerheblich verletzt wird.

Ob ein Gebrauch bestimmungsgemäß ist, richtet sich nach der Impfstoffzulassung und den hierauf beruhenden Angaben des pharmazeutischen Unternehmers in der Gebrauchs- und Fachinformation.

2.

Der pharmazeutische Unternehmer (pU) als Zulassungsinhaber i. S. v. § 4 Abs. 18 AMG haftet für Entwicklungs-, Herstellungs- und Instruktionsfehler. Der Geschädigte trägt die Beweislast für diese Anspruchsvoraussetzungen. Dabei dürfen jedoch nur maßvolle Anforderungen an ihn gestellt werden.1BGH, NJW 1991, 235 f. Der durch das 2. Schadensrechtsänderungs­­gesetz im Jahre 2002 eingeführte Auskunftsanspruch nach § 84a AMG gleicht das informationelle Ungleichgewicht zwischen Verbraucher und pU aus. Er erleichtert dem Geschädigten die Erfüllung der ihn treffenden Beweislast. Dieser Auskunftsanspruch ist mit Unionsrecht vereinbar.2EuGH Urteil vom 20.11.2014 – C-310/13 (Novo Nordisk Pharma), NJW 2015, 927 f.

Der Impfstoff muss zugelassen und im Geltungsbereich des AMG an den Verbraucher abgegeben worden sein. Die Diskussion darüber, ob die Voraussetzungen für die bedingte Zulassung der mRNA- und Vektorimpfstoffe jemals vorlagen, kann im vorliegenden Rahmen nicht diskutiert werden.

Arzneimittel mit EU-Zulassung unterliegen § 84 AMG, wenn sie von dem pU im Geltungsbereich des AMG in Verkehr gebracht worden sind. Zentral zugelassene Arzneimittel in der EU sind frei verkehrsfähig und können in jedem Mitgliedstaat in Verkehr gebracht werden, in dessen Landessprache das Arzneimittel gekennzeichnet ist.3Rehmann, a. a. O. Rn. 3.

3.

§ 84 Abs. 1 Nr. 1 AMG besagt, dass die Haftung eintritt, wenn Entwicklungs- oder Herstellungsfehler schädliche Wirkungen verursachen, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen. Wann ein entschädigungspflichtiger Schaden vorliegt, weil er ein nach der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß überschreitet, wird nur im Einzelfall zu ermitteln sein.

Dieser Haftungsgrund entspricht dem Zulassungsversagungsgrund nach § 25 Abs. 2 Nr. 5 AMG und dem Rücknahmegrund in § 30 Abs. 1 AMG.

Der Gesetzgeber hat danach berücksichtigt, dass Impfstoffe Nebenwirkungen haben können, auf die in der Gebrauchs- und Fachinformation hinzuweisen ist. Wenn bei der Zulassung bestimmte Nebenwirkungen als akzeptabel angesehen werden, führt der Eintritt dieser Nebenwirkungen nicht zu einer Haftung nach § 84 AMG.

Die Beurteilung, wann schädliche Wirkungen eines Arzneimittels über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen, richtet sich nach einer Nutzen-Risiko-Abwägung. Dabei ist der therapeutische Nutzen des Arzneimittels, insbesondere der Wirkungsgrad entscheidend.4Deutsch/Spickhoff, MedR Rn. 1915 f.; OLG Karlsruhe PharmR 2009, 81; BGH A&R 2010, 181 f. Es sind umso schwerwiegendere Nebenwirkungen entschädigungslos hinzunehmen, je ausgeprägter die Wirksamkeit des Arzneimittels ist, je gravierender die Indikation und je geringer die Möglichkeiten einer anderen Therapie sind.

Für den Zeitpunkt, zu dem die Abwägung vorgenommen werden muss, stellt die wohl herrschende Meinung nicht auf die Inverkehrbringung, sondern auf den Zeitpunkt der Geltendmachung des Anspruchs (letzte mündliche Verhandlung) ab.

Ein Entwicklungsfehler haftet dem Arzneimittel prinzipiell an. Führt dieser zu schädlichen Nebenwirkungen, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen, so hätte das Arzneimittel nicht zugelassen werden dürfen. In diesem Fall ist die Zulassung für bereits im Verkehr befindliche Arzneimittel zu widerrufen.

4.

In Bezug auf den Ursachenzusammenhang zwischen Mangel des Arzneimittels und eingetretenem Schaden enthält der durch das 2. Schadensrechtsänderungs­gesetz eingeführte § 84 Abs. 2 AMG folgende Vermutungsregelung:

Ist das angewendete Arzneimittel nach den Gegebenheiten des Einzelfalls geeignet, den Schaden zu verursachen, so wird vermutet, dass der Schaden durch dieses Arzneimittel verursacht ist.“

Der BGH hat entschieden, dass es sich hier um eine echte Vermutung nach § 292 BGB handelt, die zu einer Beweislastumkehr führt.5BGH, Urteil vom 26.03.2013, NJW 2013, 2901, Rn. 11. Der Geschädigte hat danach nur die Vermutungsbasis (Schadensgeeignetheit des Impfstoffes im Einzelfall) zu beweisen, nicht hingegen die vermutete Tatsache (haftungsbegründende Tatsache).

a)

Voraussetzung für den Eintritt dieser gesetzlichen Vermutung ist die Geeignetheit des z. B. mit einem Entwicklungsfehler behafteten Arzneimittels, den bei dem Verwender eingetretenen Schaden hervorzurufen.6OLG München, PharmR 2009, 281, 352 f.; Hart MedR 2009, 253 f., Rn. 7; BGH MedR 2009, 281 (282). Eine bloße Vermutung im Sinne einer ungesicherten Hypothese reicht nicht aus.7OLG Frankfurt a. M., NJW-RR 2003, 1177. Diese Geeignetheit ist auf Grund der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalles festzustellen. Die in § 84 Abs. 2 S. 2 AMG zur Feststellung der Geeignetheit aufgezählten Umstände sind nur beispielhaft genannt. Es ist selbstverständlich, dass der pU diese Vermutung widerlegen kann.

b)

Die echte Vermutung in § 84 Abs. 2 AMG greift unmittelbar in die Beweislastverteilung zwischen Anspruchsteller und Anspruchsgegner zu Lasten des Letzteren ein. Nach Art. 4 der Produkthaftungsrichtlinie 85/374/EWG hat der Geschädigte den Schaden, den Fehler und den ursächlichen Zusammenhang zwischen Fehler und Schaden zu beweisen. § 84 Abs. 2 AMG weicht von den weitgehend übereinstimmenden Regelungen in den Mitgliedstaaten der EU ab. Rein nach dem Wortlaut liegt die Annahme nahe, dass der von Art. 4 der Richtlinie 85/374/EWG gesteckte Rahmen von der Vermutungsregel des § 84 Abs. 2 AMG überschritten wird.

Strittig ist, ob die Richtlinie 85/374/EWG hier überhaupt anwendbar ist.

Diese Richtlinie soll den Bereich der Haftung für fehlerhafte Arzneimittel nicht über den von ihr geregelten Punkt hinaus harmonisieren.8EuGH 2011, C-495/10 Rn. 20 f. m. w. N. – Dutrueux und Caisse primaire d’assurance maladie du Jura. Mit dem Harmonisierungsziel der Richtlinie ist z. B. der Auskunftsanspruch nach § 84a AMG vereinbar.9EuGH (4. Kammer), Urteil vom 20.11.2014 – C-310/13 (Novo Nordesk Pharma GmbH/S) = NJW 2015, 927 f. Dabei steht nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) fest, dass, soweit eine Regelung in der Richtlinie 85/374 getroffen worden ist, eine vollständige Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten erreicht werden soll.10EuGH (4. Kammer), Urteil vom 20.11.2014 – C-310/13 (Novo Nordesk Pharma GmbH/S) = NJW 2015, 927 f.

Zweifel über die Anwendbarkeit der Richtlinie 85/374/EWG auf das AMG, speziell § 84 AMG, ergeben sich aus Art. 13 der Richtlinie.

Nach dessen Wortlaut werden Ansprüche von Geschädigten auf Grund von zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Richtlinie bereits bestehenden Haftungsregelungen nicht durch die Produkthaftungsrichtlinie 85/374/EWG berührt. Letztere ist 1985 in Kraft getreten, also nach dem AMG (24.08.1976), jedoch vor § 84 Abs. 2 AMG, der erst durch das 2. Schadensrechtsänderungs­gesetz von 2002 eingeführt worden ist.11EuGH wie vor, Rn. 23 und 24.

Geht man davon aus, dass § 13 der Richtlinie auf das gesamte AMG verweist und nicht auf einzelne, später eingefügte Änderungen (sog. Bereichsausnahme),12So MünchKomm BGB, 5. Aufl., Wagner, § 15 ProdHaftG, Rn. 8. dann ist das AMG von den Vorgaben des Europarechts befreit. Der Geschädigte kann für sich die Beweiserleichterung des § 84 Abs. 2 AMG in Anspruch nehmen.

Wird demgegenüber die Ansicht vertreten, dass das Datum jeder einzelnen Änderung/Ergänzung des AMG maßgebend ist (sog. Stichtagslösung), dann ist zu prüfen, ob die Änderung des AMG im Jahre 2002 durch die Einführung der Beweiserleichterung in § 84 Abs. 2 gegen die Produkthaftungsrichtlinie 85/374/EWG verstößt.

Das ist nicht der Fall.

In der Entscheidung C-621/15 vom 21.06.201713N. W u. a. gegen Sanofi Pasteur MSD SNC u. a. hatte der EuGH über eine Vorlage des französischen Cour de cassation zu entscheiden.

Das Vorlagegericht verwies zunächst auf Art. 1386-9 des französischen Code civil hin. Darin heißt es: „Der Kläger hat den Schaden, den Fehler und den ursächlichen Zusammenhang zwischen Fehler und Schaden zu beweisen.“ Zeitgleich wies das vorlegende Gericht auf seine diese Vorschrift betreffende Rechtsprechung hin. Danach kann in Ausübung seiner Befugnis zur freien Würdigung des Sachverhalts das Tatsachengericht feststellen, dass die vom Kläger geltend gemachten Tatsachen, wie etwa der zwischen der Verabreichung des Impfstoffs und dem Auftreten einer Krankheit verstrichene Zeitraum und das Fehlen einschlägiger beim Betroffenen selbst oder in seiner Familie aufgetretener Vorerkrankungen, ernsthafte, klare und übereinstimmende Vermutungen begründen, die den Fehler des Impfstoffs und das Vorliegen eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Fehler und der betreffenden Krankheit beweisen können, und zwar ungeachtet dessen, ob die medizinische Forschung einen Zusammenhang zwischen der Impfung und dem Auftreten der Krankheit herstellen kann oder nicht.

Diese Rechtsprechung des Cour de cassation entspricht im Ergebnis den in § 84 Abs. 2 AMG im deutschen Recht zur Verfügung gestellten Beweiserleichterungen.

Vorbehaltlich einer genaueren Besprechung dieses für Geschädigte bedeutungsvollen Urteils des EuGH kann schon jetzt zusammenfassend festgehalten werden:

„Was den Beweis anbelangt, ist im Übrigen hervorzuheben, dass – worauf in Rn. 19 des vorliegenden Urteils hingewiesen worden ist – zwar nach Art. 4 der Richtlinie 85/374 der Geschädigte die Beweislast trägt, jedoch weder dieser Art. 4 noch andere Bestimmungen der Richtlinie andere Aspekte der Beweisführung regeln.“14Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20.11.2014, Novo Nordisk Pharma, C-310/13, EU:C2014:2014:2385, Rn. 25 bis 29.

Unter diesen Umständen fällt es nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie und vorbehaltlich der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität der innerstaatlichen Rechtsordnung  jedes Mitgliedstaats zu, die Modalitäten der Beweiserhebung, die vor dem zuständigen nationalen Gericht zulässigen Beweismittel oder die Grundsätze für die Würdigung der Beweiskraft der vorgelegten Beweismittel durch dieses Gericht sowie das erforderliche Beweismaß festzulegen.“15EuGH (2. Kammer), N. W u. a. gegen Sanofi Pasteur MSD SNC u. a., C‑621/15, Rn. 25; vgl. entsprechend Urteil vom 15.10.2015, Nike European Opertions Netherlands, C-310/14, EU:C:2015:690, Rn. 27 und 28, und Urteil vom 21.01.2016, Eturas u. a., C-74/14, EU:C:2016:42, Rn. 30 und 32.

Danach können die Rechtsprechung des obersten französischen Gerichts und die Regelung in § 84 Abs. 2 AMG nicht gegen Art. 4 der Richtlinie 85/374/EWG verstoßen, weil nach diesen „Regelung(en) beim Geschädigten die Darlegungslast für die verschiedenen Indizien verbleibt, die es zusammengenommen dem mit der Sache befassten Gericht gegebenenfalls erlauben, seine Überzeugung bezüglich des Vorliegens eines Fehlers des Impfstoffs und eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen diesem Fehler und dem erlittenen Schaden zu stützen.“16EuGH (2. Kammer), N. W u. a. gegen Sanofi Pasteur MSD SNC u. a., C‑621/15, Rn. 29.Den Beweis als nicht geführt anzusehen, wenn in der medizinischen Forschung ein Zusammenhang zwischen der Verabreichung des Impfstoffs und dem Auftreten der Nebenwirkung weder nachgewiesen noch widerlegt ist, würde „die sich aus dieser Richtlinie ergebenden Anforderungen verkennen.“ Die Anerkennung eines solchen Grundsatzes würde, nach dem EuGH, mehreren Zielen der Richtlinie zuwiderlaufen. Der Generalanwalt habe zutreffend darauf hingewiesen, führt der EuGH weiter aus, dass dadurch die Haftung des Herstellers „… unmöglich gemacht und somit die praktische Wirksamkeit von Art. 1 der Richtlinie 85/374 beeinträchtigen“ würde.

5.

Für einen Geschädigten mit gewöhnlichem Aufenthaltsort in der Bundesrepublik ist unter den Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 1, 1a Verordnung (EG) Nr. 864/2007 (Rom-II-VO) auch bei einem Hersteller mit ausländischem Sitz deutsches Recht anwendbar. Der Gerichtsstand für diese Geschädigten ist in der Bundesrepublik auch gegen Impfstoffhersteller mit ausländischem Sitz (Art. 7 Nr. 2 Verordnung (EU) Nr. 1215/2012, Brüssel-Ia-VO).

B. Verschuldenshaftungstat­bestände

1. gegen Hersteller / pharmazeutischen Unternehmer

§ 91 AMG bestimmt: „Unberührt bleiben gesetzliche Vorschriften, nach denen ein nach § 84 Ersatzpflichtiger im weiteren Umfang als nach den Vorschriften dieses Abschnitts haftet oder nach denen ein anderer für den Schaden verantwortlich ist.“

§ 91 AMG hält dem Impfgeschädigten ausdrücklich die allgemeine Verschuldenshaftung offen. Dies ist u. a. deshalb von Bedeutung, weil in dem AMG für die Haftung nach § 84 AMG in Bezug auf die Entschädigungsleistung Höchstgrenzen gesetzt sind (§§ 86 – 88 AMG). Der vollen Haftung ist der Hersteller von Impfstoffen – trotz der Erweiterung des § 84 AMG auf Schmerzensgeldansprüche – erst ausgesetzt, wenn sein schuldhaftes Verhalten als Haftungsgrund mit einbezogen wird.

a) Produkthaftung

Zu diesen von § 91 AMG offen gehaltenen Haftungsansprüchen wegen Verschuldens gehört die Haftung für fehlerhafte Produkte im Sinne von § 1 Abs. 1 S. 2 ProdHaftG nicht. Die Produkthaftung ist nach deutschem Recht neben einer Haftung aus § 84 AMG durch § 15 ProdHaftG ausgeschlossen. Ob § 15 ProdHaftG gegen die europäische Produkthaftungsrichtlinie RL 85/374 verstößt, ist umstritten. Ausgangspunkt dieser Kontroverse ist einerseits die Absicht der RL 85/374, eine Vollharmonisierung in allen EU-Staaten zu erreichen und andererseits die Tatsache, dass sie in Art. 13 Ausnahmen zugunsten bereits bestehender nationaler Regelungen vorhält.17Münch/Komm-BGB/Wagner, 5. Aufl. § 15 ProdHaftG Rn. 9: § 15 ProdHaftG stelle eine zulässige Bereichsausnahme dar. Gestützt auf EuGH, Urteil vom 25.04.2002 – C-183/00, EWS 2002, 275 Rn. 32 m. w. N. – González Sánchez – sieht auch Staudinger/Oechsler, BGB, Neubearb. 2009, § 15 ProdHaftG Rn. 3, in § 15 ProdHaftG eine zulässige Ausnahme, weil sie auf einen bestimmten Produktionssektor begrenzt ist. Da letztlich auch die Kommission § 15 ProdHaftG nicht beanstandet hat,18Münch/Komm a. a. O. Rn. 6; Voit in Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, 2010, § 13 Rn. 6. wird hier von der Vereinbarkeit des § 15 ProdHaftG mit Unionsrecht ausgegangen. Eine Produkthaftung des Herstellers besteht folglich nicht.

b) Produzentenhaftung nach § 823 Abs. 1 BGB

Haftet nach § 84 Abs. 1 AMG nur der pU, so erstreckt sich die Produzentenhaftung nicht nur auf diesen, sondern auch auf den Hersteller.

Hersteller ist, wer den Impfstoff gewinnt, anfertigt, be- oder verarbeitet usw. (vgl. § 4 Abs. 14 AMG). Er wird in der Regel identisch sein mit dem pU, sodass die Unterscheidung (vgl. § 4 Abs. 14, Abs. 18 AMG) für die Passivlegitimation ohne Bedeutung ist. Für den Fall, dass sie nicht identisch sind, kann es nahe liegen, den Hersteller z. B. für Entwicklungs- und Herstellungsfehler in Anspruch zu nehmen. Eine Haftung des pU kommt dagegen eher in Frage bei Fehlern im Anmeldeverfahren, der Marktüberwachung, verspätet ausgesprochenen Warnhinweisen oder vorwerfbarem Unterlassen, den Impfstoff vom Markt zu nehmen (auf die in § 63b AMG geregelten, ihn betreffenden allgemeinen Pharmakovigilanz-Pflichten wird verwiesen).

aa)

Es kann dahinstehen, ob es sich bei der Produzentenhaftung um eine Gefährdungs- oder um eine Verschuldenshaftung handelt, oder ob es dabei nur einer die Haftung auslösenden objektiven Sorgfaltswidrigkeit bedarf.19Zum Streitstand vgl. Münchener Kommentar, BGB, Wagner, 8. Aufl. 2020, § 823, Rn. 949. Die heftige Kontroverse erweist sich als nur von akademischer Natur, besteht doch Übereinstimmung darin, dass die Einstandspflicht des Warenherstellers von einem Sorgfaltspflichtverstoß abhängt. Es handelt sich um Verkehrssicherungspflichten, die zu beachten sind in den Bereichen der Konstruktion, Instruktion, Produktbeobachtung usw. Es sind wahrheitsgemäße, die Impfstoffentwicklung vollständig spiegelnde Zulassungsunterlagen einzureichen. Warnhinweise und Rückrufpflichten sind bei konkreten Anhaltspunkten von Nebenwirkungen extensiv im Sinne der Gesundheit der Bevölkerung auszuüben. Die Verletzungen dieser Verkehrssicherungspflichten sind im Unrechtstatbestand des § 823 Abs. 1 BGB verankert.

bb)

Der Hersteller/pU haftet auch für die Folgen der Wirkungslosigkeit seines Produkts. Vertreibt der Chemieunternehmer ein wirkungsloses Pflanzenschutzmittel und wiegt Landwirte in der irrigen Gewissheit, ihre Ernte sei vor Schädlingen geschützt, haftet er für die eingetretenen Schäden. Dies gilt auch für Impfstoffe. Besondere Bedeutung kommt der Haftung für Impfstoffe zu, wenn im Vertrauen auf deren Wirksamkeit andere Maßnahmen zum Schutz von Rechtsgütern unterlassen werden.20BGHZ 80, 186 ff. = NJW 1981, 1603 – Apfelschorf-Fall. Anerkannt ist zwischenzeitlich, dass die mRNA- und Vektorimpfstoffe weder vor Selbstansteckung mit Coronaviren schützen noch deren Weitergabe an Dritte verhindern. Sie sind in dieser Hinsicht unwirksam. Unterlässt jemand z. B. die Einnahme anderer Arzneimittel gegen Corona-Ansteckung, weil er fälschlicherweise an die propagierte Wirksamkeit der mRNA- und Vektorimpfstoffe gegen Selbstansteckung und Fremdansteckung geglaubt hat, so haftet der Hersteller/pU für eingetretene Nebenwirkungen, die ohne Impfung nicht aufgetreten wären.

cc)

Es gelten die allgemeinen Grundsätze deliktischer Sorgfaltspflichten. Die Sorgfaltsanforderungen werden nicht an den Kenntnissen und Fähigkeiten des konkreten Herstellers/pU gemessen. Es ist ein objektiver Maßstab anzulegen.21BGHZ 181, 253, Rn. 27 = NJW 2009, 2952. Konnte ein vernünftiger und fachkundiger Impfstoffhersteller/pU den Fehler erkennen? Standen ihm Maßnahmen der Schadensvermeidung zur Verfügung? Hat er bei der Herstellung gegen anerkannte medizinische Standards verstoßen?

Zu den Verkehrssicherungspflichten ist im Einzelnen auszuführen: Bei der Herstellung neuer Produkte (wie mRNA- und Vektorimpfstoffe) besteht, bevor sie in den Verkehr gebracht werden, die Verpflichtung, aktiv nach möglichen Schadensrisiken zu forschen.22EuGH EuZW 2017, 63 Rn. 51, 58 f. – Elliott Construction. Je innovativer das Produkt, je größer die drohenden Schäden, je höher die Schadenswahrscheinlichkeit, desto größere Anstrengungen in puncto Gefahrenerforschung muss der Hersteller/pU unternehmen. Das Produkt muss dem geltenden Standard medizinischer Forschung entsprechen. Folgerichtig sind die Sorgfaltspflichten besonders intensiv wahrzunehmen, wenn schwerwiegende Schäden, insbesondere an Leben, Gesundheit und körperlicher Unversehrtheit mit nicht zu vernachlässigender Wahrscheinlichkeit drohen. Hier wäre zu prüfen, ob die Entwicklung der mRNA- und Vektorimpfstoffe medizinischen Standards entsprach und ob die Hersteller/pU dazu vollständige und wahrheitsgemäße Angaben gemacht haben. Ergibt sich, dass das Produkt nicht hinreichend sicher hergestellt werden kann, darf es nicht vermarktet werden.23BGHZ 181, 253 Rn. 18, 23 = NJW 2009, 2952; BGH VersR 2009, 649; BGHZ 116, 60 (65 f.) = NJW 1992, 560 f.; BGHZ 106, 273 (283) = NJW 1989, 1542 (1544 f.); OLG Frankfurt NJW-RR 1995, 406 (408) betreffend Impfschaden; OLG Hamm NJW-RR 2011, 893 (894).

Entwickeln sich die Kenntnisse über Gefahren fort oder erweitern sich die Möglichkeiten der Technik, kann der Hersteller/pU allerdings gehalten sein, die Nutzer der bereits im Verkehr befindlichen Produkte vor nunmehr erkannten oder vermeidbaren Gefahren zu warnen.

In den Apfelschorf-Fällen hat die Rechtsprechung mit Recht den Hersteller für verpflichtet gehalten, seine Produkte nach Inverkehrgabe auf noch unbekannte schädliche Eigenschaften hin zu beobachten und sich über sonstige Gefahrenlagen verursachende Folgen ihres Gebrauchs zu informieren. Nach dieser Entscheidung ist ein besonders strenger Maßstab anzulegen, wenn Leben und Gesundheit gefährdet sind.

Die Produktbeobachtungspflicht hat also die Funktion, die Verantwortung des Herstellers/pU für sein Produkt über den Zeitpunkt der Inverkehrbringung und den damaligen Stand der Kenntnisse und Möglichkeiten hinaus zu perpetuieren. Eine zeitliche Grenze kennt die Produktbeobachtungspflicht nicht.24MünchKomm a. a. O. Rn. 989 m. w. N.

Die Produktbeobachtungspflicht beschränkt sich nicht nur darauf, Beschwerden von Anwendern über eingetretene Schäden zu sammeln und systematisch auszuwerten.25BGHZ 99, 167, 170 ff. = NJW 1987, 1009 f.; MünchKomm a. a. O.; BGH NJW 1994, 517 (519); BGH NJW 1995, 342 f. Der Hersteller/pU muss der Produktbeobachtungspflicht im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren aktiv nachkommen. Erfahrungen von Konkurrenzprodukten gleicher oder ähnlicher Beschaffenheit sind zu sammeln, wissenschaftliches Schrifttum (auch das internationale) ist auszuwerten. Je höher das Schädigungspotential des Produktes ist, umso größere Anforderungen sind an die aktive Produktbeobachtung zu stellen.

Die Verletzung der Produktbeobachtungspflicht allein verursacht keine Schäden, sondern diese entstehen erst dadurch, dass es der Hersteller unterlassen hat, aus den im Wege der Beobachtung gewonnenen Informationen die gebotenen Konsequenzen zu ziehen, oder es versäumt hat, tatsächlich verfügbare Informationen zu erheben oder auszuwerten und sich dadurch von vornherein jeder Reaktionsmöglichkeit begeben hat. Die Reaktionspflichten sind ein Brennpunkt des Produkthaftungsrechts. Es können sich daraus Meldepflichten an die zuständigen Bundesbehörden ergeben. Rückrufanordnungen bzw. Rücknahme der erteilten Zulassung können erforderlich sein.

Das OLG Düsseldorf hat entschieden, dass öffentlich-rechtliche Produktbeobachtungs- und Reaktionspflichten auch das zivilrechtliche Pflichtenheft der Hersteller und pU prägen.26OLG Düsseldorf, NJOZ 2012, 1404, 1410 ff. – Defibrillator.

Zu den Reaktionspflichten aus der Produktbeobachtung kann ergänzend festgehalten werden:

Besonders bei neuartigen Impfstoffen hat der Hersteller bei auftretenden Nebenwirkungen in neuen Testreihen den Impfstoff zu verändern, um Sicherheitsmängel abzustellen. Die Instruktion der Anwender der Impfstoffe und derjenigen, die vor einer Impfung stehen, ist zu verbessern. Vor den mit der Nutzung verbundenen Gefahren ist zu warnen. Lassen sich die Produktrisiken dadurch nicht zuverlässig vermeiden, ist der weitere Vertrieb des Impfstoffes einzustellen. Letztlich ist der Impfstoff vom Markt zu nehmen, wenn der Hersteller nach objektiven Kriterien einen schwerwiegenden, substantiierten Verdacht für Risiken für Leib und Leben haben muss.

Der BGH ist der teilweise vertretenen Ansicht nicht gefolgt, wonach der entscheidende Zeitpunkt für die Beurteilung einer Pflichtverletzung die letzte mündliche Verhandlung sei.

Der Umfang der geforderten Sorgfaltspflicht ist nach dem (objektiven) Sorgfaltsmaßstab des § 276 Abs. 1 Satz 2 BGB zu beurteilen. Danach ist entscheidend darauf abzustellen, „ob und in welchem Maße für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit bestand, daß Rechtsgüter anderer verletzt werden konnten, wenn Sicherungsmaßnahmen unterblieben.“27BGH, VersR 1976, 149 f.; BGH, NJW 1981, 1603.

Der maßgebende Zeitpunkt kann danach durchaus unterschiedlich sein, wenn z. B. mehrere Sorgfaltsverstöße im Einzelfall eine Rolle spielen. Die Kenntnislage kann im Zeitpunkt der Herstellung oder bei den später zu erfüllenden Instruktionspflichten (ungenügende Marktbeobachtung; keine Wahrnehmung der sich evtl. ändernden wissenschaftlichen Erkenntnisse – auch ausländischer; zu späte bzw. dem Inhalt nach unzureichende Warnhinweise; zu später oder gänzlich unterbleibender Rückruf bereits ausgelieferter Impfdosen usw.) erheblich auseinanderfallen.

2. Haftung der Angehörigen von Gesundheitsberufen

a)

Eine Haftung der impfenden Personen kann sich aus dem auch konkludent schließbaren Behandlungsvertrag nach §§ 630a ff., 280 Abs. 1 BGB und aus §§ 823 ff. BGB ergeben. Sollte kein Behandlungsvertrag geschlossen worden sein, begründet die tatsächliche Aufnahme der Behandlung eine Garantenstellung des Behandelnden durch Übernahme des Auftrages, die bei dem Patienten ein mit der Tätigkeit erzeugtes Vertrauen erzeugt. Hierbei ist je nach der Einzelfallgestaltung festzustellen, mit wem ein Behandlungsvertrag (Impfung in einem Impfzentrum, in einer Arztpraxis oder Apotheke) geschlossen worden ist.

b)

Die Impfung ist eine Körperverletzung, die durch die Einwilligung des Patienten gerechtfertigt sein kann. Hat die Impfung zu nachweisbaren gesundheitlichen Schäden geführt, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen, ist die Körperverletzung nur gerechtfertigt, wenn die Einwilligung dazu von dem Impfenden lege artis herbeigeführt worden ist.

Was der Behandelnde zur Vorbereitung einer wirksamen Einwilligung zu tun hat, ist in den §§ 630a – 630h BGB umfassend gesetzlich normiert. Der Geschädigte wird, gestützt auf zulässige Beweismittel (z. B. Vorlage des Aufklärungsbogens, Inhalt der Einwilligungserklärung, Dokumentation der Behandlung gemäß § 630f BGB; Inhalt von Beipackzettel und Fachinformation des Herstellers, Auskünfte des Herstellers nach § 84a AMG und evtl. Zeugenaussagen), nachzuweisen versuchen, weshalb die Einwilligung nicht den Kriterien der § 630d Abs. 2, § 630e BGB entspricht und deshalb für die erlittene Körperverletzung nicht rechtfertigend wirken kann. Wegen der Bedeutung der Einwilligung ist ergänzend zu betonen:

Vor der Impfung ist der Patient in verständlicher Weise über sämtliche im Zusammenhang mit der Impfung wesentlichen Umstände aufzuklären (§ 630c BGB). Nach § 630d Abs. 2 BGB ist die verpflichtend einzuholende Einwilligung zur Impfung nur wirksam, wenn der Patient nach Maßgabe des § 630e Abs. 1 – 4 BGB „über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände“ aufgeklärt worden ist. Die Einwilligung ist nur dann rechtswirksam, wenn der Patient u. a. über die „Eignung“, die „Erfolgsaussichten“ und „die zu erwartenden Folgen und Risiken“ der Impfung aufgeklärt worden ist. Der Behandelnde hat den allgemeinen Gesundheitszustand des Patienten in die Art und den Umfang der Aufklärung einzubeziehen. Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 18.05.202128NJW-RR 2021, 886. gefordert, es sei auch über bloß vermutete Risiken aufzuklären, wenn diese sich soweit verdichtet haben, dass sie zum Schutz des Patienten in dessen Entscheidungsfindung einbezogen werden sollten. Auf die zum Zeitpunkt der Verabreichung nicht auszuschließenden unbekannten Risiken bei den mit neuen Wirkmechanismen ausgestatteten mRNA- und Vektorimpfstoffen ist hinzuweisen. Bei dieser sog. Neulandmedizin ist ein besonders strenger Maßstab anzulegen. Der Inhalt der pflichtgemäßen Aufklärungspflicht kann sich während des zeitlichen Ablaufs von mehreren Impfungen gemäß dem evtl. veränderten Gesundheitszustand des Patienten auf Grund einer vorangegangenen Impfung erweitern (ändern). Über im Laufe der Zeit gesammelte wissenschaftlich-medizinische Erkenntnisse über Impfnebenwirkungen ist aufzuklären. Die Reaktionen des Patienten nach vorangegangenen Impfungen müssen erfragt und dürfen bei der ergänzenden Aufklärung nicht außer Acht gelassen werden. Wenn all dies unterlassen worden ist, kann darin nicht nur ein Aufklärungs-, sondern auch ein Behandlungsfehler liegen.

Gelingt dem Patienten der Nachweis eines schuldhaften Verstoßes gegen die in den §§ 630a ff., 280 BGB (der zugleich einen Verstoß gegen § 823 BGB darstellt) geregelten Pflichten und kann darüber hinaus belegt werden, dass sich der Patient bei pflichtgemäßer Aufklärung nicht hätte impfen lassen und wird letztlich durch von der ZPO zur Verfügung gestellte Beweismittel der Nachweis erbracht, dass zwischen der Impfung und dem vorhandenen über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehenden gesundheitlichen Schaden ein Kausalzusammenhang besteht, hat eine eventuelle Schadensersatzklage hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Darüber hinaus müssen bedacht werden Schadensersatzansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. den Strafvorschriften der §§ 95 f. AMG und denen des StGB (Körperverletzung nach § 223 StGB, gefährliche Körperverletzung nach § 224 StGB, schwere Körperverletzung nach § 226 StGB, Körperverletzung mit Todesfolge nach § 227 StGB, Totschlag nach § 212 StGB).
Nicht auszuschließen sind ebenfalls Schadensersatzansprüche aus einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung gemäß § 826 BGB.
Eine genauere Darlegung ihrer Anspruchsvoraussetzungen würde vorliegend den Rahmen sprengen, hat aber im Einzelfall zu erfolgen.

c)

Bleibt zu klären, gegen wen sich diese Klage zu richten hat.

Wird die impfende Person als Beamter im haftungsrechtlichen Sinne tätig, dann ist der Staat (Anstellungskörperschaft) wegen der Spezialvorschriften § 839 BGB, Art. 34 GG für Verstöße des Beamten gegen die in §§ 630a ff. und § 823 BGB normierten Pflichten passivlegitimiert. Die persönliche Haftung des Bediensteten scheidet in diesem Fall aus.

Ob sich das Handeln einer Person als Ausübung eines öffentlichen Amts darstellt, bestimmt sich nach ständiger Rechtsprechung des BGH danach, ob die eigentliche Zielsetzung, in deren Sinn der Betreffende tätig wurde, hoheitlicher Tätigkeit zuzurechnen ist und ob zwischen dieser Zielsetzung und der schädigenden Handlung ein so enger äußerer und innerer Zusammenhang besteht, dass die Handlung ebenfalls als noch dem Bereich hoheitlicher Betätigung angehörend angesehen werden muss. In diesem Sinne kann auch Privatpersonen das Haftungsprivileg zugutekommen. Auch bei einer Privatperson ist auf deren Funktion, d. h. ihre Aufgabe, deren Wahrnehmung die im konkreten Fall ausgeübte Tätigkeit dient, abzustellen.29Beispielhaft: BGH, Urteil vom 20.12.2016 – VI ZR 395/15; BGH NJW 1993, 1258 f.; BGH, NJW 2014, 2577 f.

Ob impfenden Personen das Haftungsprivileg aus § 839 BGB/Art. 34 GG zugutekommt, ist umstritten.30Dafür: Dutta, NJW 2022, 649 ff., Rn. 25; Plagemann/Baumann, COVuR 2021, 514 ff. (521). Dagegen: Rahn ZGMR 2021, 345 (350 f.); Voit, PharmR 2021, 393 (395); Kraemer, NJW 2021, 350 (354).

Die eigentliche Zielsetzung, in deren Sinn der Impfende tätig wird, ist eindeutig hoheitlich.

Der Infektionsschutz ist im IfSG als hoheitliche Aufgabe konzipiert. Als Zwecke dieser öffentlichen Aufgabe werden der Schutz von Leben und Gesundheit der Bevölkerung und die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems angegeben. Um diesen eindeutig hoheitlichen Zielen zu genügen, wurde sogar eine allgemeine Impfpflicht von der Exekutive angestrebt und eine Ende 2022 auslaufende sog. einrichtungsbezogene Impfpflicht vom Bundestag beschlossen.

Wie anmaßend die Exekutive diese Aufgabe als hoheitliche wahrnimmt, wird daran deutlich, dass sie sämtliche Einzelmaßnahmen vorweg festgelegt hat, wie sie die Kontrolle über die detailliert festgelegten Einzelmaßnahmen behalten will, und daran, wie sie die Finanzierung übernommen hat. In der aufgrund § 20i Fünftes Sozialgesetzbuch (SGB V) erlassenen und am 31.12.2022 auslaufenden Coronavirus-Impfverordnung (CoronaimpfV) ist in allen Einzelheiten geregelt, wer einen Anspruch auf Impfung hat, wer die sog. Leistungsträger sein können, wie diese zu überwachen und zu vergüten sind. Genau vorgegeben sind darin die Leistungen von Ärzten, Apotheken, Großhandel, die Mitfinanzierung von Impfzentren nebst mobilen Impfteams und letztlich die Abrechnungsmodalitäten.

In diesem bewusst geknüpften engen Korsett erfüllt der Impfende nur eine vorwegbestimmte hoheitliche Aufgabe. Der Staat hat auf die Durchführung des Impfens so weitgehenden Einfluss genommen, dass er z. B. die Arbeiten des „privaten“ Arztes wie eigenes Handeln gegen sich gelten lassen und es so angesehen werden muss, wie wenn der Unternehmer lediglich als Werkzeug der öffentlichen Behörde bei der Durchführung ihrer hoheitlichen Aufgaben tätig geworden wäre.

Aus alledem folgt, dass sich Pflichtverletzungen, wie sie in den §§ 630a ff. BGB und § 823 Abs. 1 BGB normiert sind, gegen den Staat oder die öffentliche Körperschaft, in deren Dienst der Impfende steht, richten (Art. 34 GG, § 839 BGB). Welche öffentliche Körperschaft in sog. Corona-Fällen passivlegitimiert ist, ist im Einzelfall festzustellen.

Fällt dem Impfenden nur Fahrlässigkeit zur Last, so ist die Staatshaftung nur dann gegeben, wenn der Geschädigte „nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag“ (§ 839 Abs. 1 S. 2 BGB).

3. Direkte Haftung des Staates

Der infektionsschutzrechtliche Versorgungsanspruch nach § 60 Abs. 1 IfSG ist eine Form des allgemeinen zivilrechtlichen Aufopferungsanspruchs und schließt diesen aus.31Vgl. Ossenbühl/Cornils, StaatsHaftR, 6. Aufl. 2013, S. 149.

Nach § 60 Abs. 1 IfSG erhält derjenige auf Antrag eine sich nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) richtende Versorgung, wenn er durch eine Impfung einen Impfschaden erlitten hat.

Gemäß § 61 IfSG genügt zur Anerkennung eines Gesundheitsschadens durch eine Impfung „die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs“.32Für eine noch weitergehende Erleichterung zum Nachweis des Ursachenzusammenhangs wird auf BSGE 73, 190 zu dem § 60 Abs. 2 IfSG entsprechenden § 1 Abs. 3 S. 2 BVG hingewiesen. Mit den relativ geringen Voraussetzungen zur Begründung eines Anspruchs nach §§ 60 ff. IfSG korrespondiert der eingeschränkte Umfang der gesetzlich bewilligten Kompensation.

Der Anspruch nach § 60 ff. IfSG ist kein Schadensersatzanspruch, sondern zielt auf Versorgungsansprüche nach dem BVG.

Der Umfang des Anspruchs beinhaltet Heilbehandlung, Versehrtenleibesübungen, Krankenbehandlung, Beschädigtenrente, Pflegezulage, Bestattungsgeld, Sterbegeld sowie eine Hinterbliebenenrente. Passivlegitimierter des Anspruchs ist das Bundesland, in dem der Geschädigte im Zeitpunkt des Eintritts des Schadens seinen Wohnsitz hatte (§ 66 Abs. 2 IfSG). Sachlich zuständig sind die Sozialgerichte (§ 68 Abs. 2 IfSG).

Endnoten

  • 1
    BGH, NJW 1991, 235 f.
  • 2
    EuGH Urteil vom 20.11.2014 – C-310/13 (Novo Nordisk Pharma), NJW 2015, 927 f.
  • 3
    Rehmann, a. a. O. Rn. 3.
  • 4
    Deutsch/Spickhoff, MedR Rn. 1915 f.; OLG Karlsruhe PharmR 2009, 81; BGH A&R 2010, 181 f.
  • 5
    BGH, Urteil vom 26.03.2013, NJW 2013, 2901, Rn. 11.
  • 6
    OLG München, PharmR 2009, 281, 352 f.; Hart MedR 2009, 253 f., Rn. 7; BGH MedR 2009, 281 (282).
  • 7
    OLG Frankfurt a. M., NJW-RR 2003, 1177.
  • 8
    EuGH 2011, C-495/10 Rn. 20 f. m. w. N. – Dutrueux und Caisse primaire d’assurance maladie du Jura.
  • 9
    EuGH (4. Kammer), Urteil vom 20.11.2014 – C-310/13 (Novo Nordesk Pharma GmbH/S) = NJW 2015, 927 f.
  • 10
    EuGH (4. Kammer), Urteil vom 20.11.2014 – C-310/13 (Novo Nordesk Pharma GmbH/S) = NJW 2015, 927 f.
  • 11
    EuGH wie vor, Rn. 23 und 24.
  • 12
    So MünchKomm BGB, 5. Aufl., Wagner, § 15 ProdHaftG, Rn. 8.
  • 13
    N. W u. a. gegen Sanofi Pasteur MSD SNC u. a.
  • 14
    Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20.11.2014, Novo Nordisk Pharma, C-310/13, EU:C2014:2014:2385, Rn. 25 bis 29.
  • 15
    EuGH (2. Kammer), N. W u. a. gegen Sanofi Pasteur MSD SNC u. a., C‑621/15, Rn. 25; vgl. entsprechend Urteil vom 15.10.2015, Nike European Opertions Netherlands, C-310/14, EU:C:2015:690, Rn. 27 und 28, und Urteil vom 21.01.2016, Eturas u. a., C-74/14, EU:C:2016:42, Rn. 30 und 32.
  • 16
    EuGH (2. Kammer), N. W u. a. gegen Sanofi Pasteur MSD SNC u. a., C‑621/15, Rn. 29.
  • 17
    Münch/Komm-BGB/Wagner, 5. Aufl. § 15 ProdHaftG Rn. 9: § 15 ProdHaftG stelle eine zulässige Bereichsausnahme dar. Gestützt auf EuGH, Urteil vom 25.04.2002 – C-183/00, EWS 2002, 275 Rn. 32 m. w. N. – González Sánchez – sieht auch Staudinger/Oechsler, BGB, Neubearb. 2009, § 15 ProdHaftG Rn. 3, in § 15 ProdHaftG eine zulässige Ausnahme, weil sie auf einen bestimmten Produktionssektor begrenzt ist.
  • 18
    Münch/Komm a. a. O. Rn. 6; Voit in Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, 2010, § 13 Rn. 6.
  • 19
    Zum Streitstand vgl. Münchener Kommentar, BGB, Wagner, 8. Aufl. 2020, § 823, Rn. 949.
  • 20
    BGHZ 80, 186 ff. = NJW 1981, 1603 – Apfelschorf-Fall.
  • 21
    BGHZ 181, 253, Rn. 27 = NJW 2009, 2952.
  • 22
    EuGH EuZW 2017, 63 Rn. 51, 58 f. – Elliott Construction.
  • 23
    BGHZ 181, 253 Rn. 18, 23 = NJW 2009, 2952; BGH VersR 2009, 649; BGHZ 116, 60 (65 f.) = NJW 1992, 560 f.; BGHZ 106, 273 (283) = NJW 1989, 1542 (1544 f.); OLG Frankfurt NJW-RR 1995, 406 (408) betreffend Impfschaden; OLG Hamm NJW-RR 2011, 893 (894).
  • 24
    MünchKomm a. a. O. Rn. 989 m. w. N.
  • 25
    BGHZ 99, 167, 170 ff. = NJW 1987, 1009 f.; MünchKomm a. a. O.; BGH NJW 1994, 517 (519); BGH NJW 1995, 342 f.
  • 26
    OLG Düsseldorf, NJOZ 2012, 1404, 1410 ff. – Defibrillator.
  • 27
    BGH, VersR 1976, 149 f.; BGH, NJW 1981, 1603.
  • 28
    NJW-RR 2021, 886.
  • 29
    Beispielhaft: BGH, Urteil vom 20.12.2016 – VI ZR 395/15; BGH NJW 1993, 1258 f.; BGH, NJW 2014, 2577 f.
  • 30
    Dafür: Dutta, NJW 2022, 649 ff., Rn. 25; Plagemann/Baumann, COVuR 2021, 514 ff. (521). Dagegen: Rahn ZGMR 2021, 345 (350 f.); Voit, PharmR 2021, 393 (395); Kraemer, NJW 2021, 350 (354).
  • 31
    Vgl. Ossenbühl/Cornils, StaatsHaftR, 6. Aufl. 2013, S. 149.
  • 32
    Für eine noch weitergehende Erleichterung zum Nachweis des Ursachenzusammenhangs wird auf BSGE 73, 190 zu dem § 60 Abs. 2 IfSG entsprechenden § 1 Abs. 3 S. 2 BVG hingewiesen.