“Die Menschen dieses Landes sind keine Untertanen.” – Hans-Jürgen Papier

Der Zustand der Brandmauer

Manfred Kölsch

Für Aufregung sorgt die Abstimmung des Dresdener Stadtrates über die Einführung einer Bezahlkarte. Dem diesbezüglichen Antrag der AfD haben die CDU-Ratsmitglieder durch ihre Zustimmung zum Erfolg verholfen. Der Bundesvorsitzende der CDU, Friedrich Merz, meint dazu: „in der Sache richtig“, aber „im Verfahren inakzeptabel“. Wie werden die CDU-Ratsmitglieder auf Friedrich Merz reagieren, wenn er ihnen den Beschluss der CDU vorhält, mit der AfD dürfe es keine Zusammenarbeit geben? „Wie kommt es denn“ – so könnten die Ratsmitglieder zurückfragen – „dass das von der AfD Gewollte und auch von der CDU als richtig Erkannte vergiftet ist, nur weil es von der AfD initiiert wurde?“ Zumal der gegen die AfD gerichtete demokratiewidrige pauschale Verdacht, rechtsextrem zu sein, nicht in allen Fällen den „kollektivpsychischen Apparat wie durch Osmose“ (so Geyer-Hindemith, FAZ, 26.07.23) durchdringt. Dies betrifft z. B. die Entscheidung von 27 Mitgliedern des Europäischen Rats und 27 Mitgliedern des Europaparlaments, die zusammen mit der knappen Mehrheit von 28 Stimmen Frankfurt zum Sitz der neuen EU-Anti-Geldwäsche-Behörde gewählt haben. Da, nach allem was man weiß, die eine zur Mehrheit führende Stimme diejenige eines AfD-Europaabgeordneten war, hätte gegen die Bestimmung von Frankfurt als Sitz der neuen EU-Behörde ein Aufschrei durch die Republik gehen müssen. Alles blieb jedoch ruhig. Alle Akteure, die Profiteure sowieso, waren im Gegenteil, trotz AfD-Geburtshilfe, von der Entscheidung begeistert.

Friedrich Merz wird es auch schwer haben zu erklären, was der Unterschied sei, ob die AfD einem Antrag der CDU zustimmt oder die CDU einem Antrag der AfD.

Die Doppelmoral kennt keine Grenzen. Wer kümmert sich um den Schulterschluss der SPD mit der AfD gegen eine Taurus-Lieferung an die Ukraine? Wer regt sich auf über grüne oder linke Komplizenschaft mit der AfD in Kommunen?

Die sich im Vertuschen und Heimlichtun in der Debatte um den von Priestern verübten Kindesmissbrauch auszeichnende katholische Kirche sorgt jetzt für klare Verhältnisse in Bezug auf die AfD. Die deutschen katholischen Bischöfe haben das drei Jahrzehnte geltende Tabu, keine Wahlempfehlung zu geben, gebrochen. So hat die Bischofskonferenz in der Woche vom 15. bis 21. Februar 2024 ausdrücklich erklärt, die AfD sei für Christen nicht wählbar. Bedenken, diese Erklärung könne als Bevormundung verstanden werden, oder die Anregung, Gespräche mit gemäßigten Anhängern der Partei zu führen, blieben ungehört, hatte man doch gerade von der von „Correctiv“ herbeigelogenen zweiten Wannseekonferenz erfahren. Bedenken mussten hinter der Gefahr von Rechts zurücktreten.

Neben dem von der AfD inszenierten Aufschrei, wonach es sich um ein unzulässiges und unzutreffendes Pauschalurteil handele, es nur darum gehe, einen wachsenden Konkurrenten von der Machtausübung fernzuhalten, man auf dem linken Auge blind sei usw., ist bemerkenswert, dass sich die Abgeordnete der AfD, Frau von Storch, in der Debatte im Bundestag um die Neuregelung der geschäftsmäßigen Beihilfe zum Suizid, für ihre Argumentation ausdrücklich eine Position der katholischen Kirche zu eigen gemacht hat. Den Gesetzesentwurf lehnte sie ab, indem sie demonstrativ erklärte: „Anfang und Ende des Lebens liegen allein in Gottes Hand“. Diese Position der Abgeordneten gibt exakt die offizielle Lehre der katholischen Kirche wieder. Das sog. Souveränitätsargument lautet: Gott ist der Herr über Leben und Tod; diese seien dem Menschen entzogen (Katechismus der katholischen Kirche Nummer 2280).

Dürfen Gott und die katholische Kirche als der AfD Gleichgesinnte oder gar deren Unterstützer wahrgenommen werden? Soll hier ein neues Loch in die Brandmauer zur AfD geschlagen werden?

Um dies effektiv zu verhindern, muss die Brandmauer bis ins Transzendente konstruiert werden. Dies ist jedenfalls die Auffassung der Professorinnen Kristina Kieslinger (Lehrstuhlinhaberin der Romano-Guardini-Professur für Ethik, Mainz) und Kerstin Schlögl-Flierl (Lehrstuhlinhaberin für Moraltheologie in Augsburg). Sie schreiben: „Es ist äußerst irritierend wahrzunehmen, dass scheinbar die einzige Partei, die theologische Deutungskategorien in der Debatte aufnimmt, die AfD ist“ (Christ in der Gegenwart, 75. Jahrgang, 16.07.2023, Seite 3).

Warum das äußerst irritierend sein soll, wird nicht erörtert.

Anerkannt wird jedoch: „Diese Argumentation (von Frau von Storch) findet sich eins zu eins in der offiziellen Position der katholischen Kirche zum Suizid wieder.“ Ihr Ziel umreißend ergänzen die Autorinnen: „Um sich als Katholische Kirche nicht mit rechtsradikalen Positionierungen zu „verschwistern“, sehen wir es als Aufgabe von Lehramt und Theologie an, einen seriösen Lebensschutz mit Gehalt zu füllen und eine klare Abgrenzung zur AfD vorzunehmen“ (ebenda).

Wollen die beiden Professorinnen zu verstehen geben, die bisherige Position der katholischen Kirche in Nr. 2280 ihres Katechismus könne als rechtsradikal wahrgenommen werden, nur weil die AfD sich darauf beruft? Infiziert allzu große Nähe zur AfD auch den kollektivpsychischen Apparat der katholischen Kirche wie Osmose („mit rechtsradikalen Positionierungen … verschwistern“)? Um die Brandmauer gegen die AfD undurchlässig zu halten, müsse Nr. 2280 des Katechismus ganz neu gedacht werden. Ohne diese Umkehr könne weder die gewünschte Distanz zur AfD gehalten noch ein „seriöser Lebensschutz“ erreicht werden.

Dieses Ziel ist nur erreichbar, wenn die Brandmauer bis ins Transzendente verlängert wird. Es ist erschreckend, dass sich, um der Aufrechterhaltung der Brandmauer zur AfD willen, zwei Professorinnen der Theologie anmaßen, es solle nicht mehr der Nr. 2280 des Katechismus angeblich zugrunde liegende Gott als der “souveräne Patriarch, der über Leben und Tod herrscht“, entscheidungserheblich sein. Für die Abgrenzung zur AfD favorisieren sie die „Vorstellung eines personalen Gottes, der mit Liebe im Dialog mit den Menschen ist“.

Um die Brandmauer gegen eine politische Partei bis ins Transzendente undurchlässig halten zu können, ist ein hoher Preis zu zahlen.

In ihrer anthropomorphen Hoffart kommen die beiden Autorinnen nicht umhin, die von der katholischen Kirche sich selbst zugeschriebene Autorität, die allein autorisierte Interpretin von Gottes Willen zu sein, in Frage zu stellen. Mit Nr. 2280 des Katechismus habe, wie die beiden Autorinnen meinen, die katholische Kirche keinen „seriösen Lebensschutz“ gewährleistet. Es handele sich bei Nr. 2280 um eine „autoritäre Norm“ die „abgelehnt werden“ müsse.

Übrigens: Auch die evangelische Kirche beteiligt sich emsig an den Flickarbeiten zum Erhalt der Brandmauer. Sie hat soeben ihrem Pfarrer Martin Michaelis mitgeteilt: „Ihre Entscheidung und die darauf entstehenden Umstände bedeuten für die betreffenden Kirchengemeinden eine schwere Erschütterung. Um weiteren Schaden von den Gemeinden abzuwenden, ordne ich (Anmerkung: der zuständige Superintendent) hiermit nach § 58 Pfarrerdienstgesetz an, dass Sie ab heute keine dienstlichen Tätigkeiten mehr im Rahmen Ihrer Beauftragung für den Pfarrbereich Gatersleben wahrnehmen.“ Das „Vergehen“ von Martin Michaelis, das angeblich „eine schwere Erschütterung“ hervorgerufen haben soll: Er hat sich als Parteiloser zur Kommunalwahl in Quedlinburg am 09.06.2024 auf Platz drei der Liste der AfD aufstellen lassen.

2 Kommentare

  1. Vielleicht will man damit das schlechte Gewissen im DR neutralisieren? Insbesondere die “Deutschen Christen” waren Sympathisanten und Unterstützer des Systems, heute sucht man händeringend nach “Entlastungen”. Moral und Ethik sehe ich seit Corona, erneuter Kriegstreiberei und den Missbrauchsfällen ohnehin mit anderen Augen, Definition und Auslegung scheinen im Auge des Betrachters zu liegen. Im Prinzip hätten die “echten Christen” und was sich darunter subsumieren lässt, genügend zu tun um das Kalifat zu verhindern (Hamburger Demo). Wenn ein Moslem es in Israel schon geschafft hat, dass höchste Vertreter der beiden (deutschen) Kirchen die Kreuze ablegen, kann man sich ausmalen, wie sich der “Verein” verändert hat. Vielleicht ist denen bewusst, dass sich der Islam nicht mehr verhindern lässt und erhoffen sich einen Nebenposten im “neuen Glauben”, variabel muss man sein, wenn man überleben will. Angesichts dieser Verhältnisse kann ich historische PERSÖNLICHKEITEN wie Isabella von Aragón und Kastilien, Niklas (II.) Graf Salm und Prinz Eugen von Savoyen, dessen Sieg zum Frieden von Karlowitz und zum Ende des Großen Türkenkrieges führte, nur ein Denkmal setzen. Die Menschheit hat seit Jahrhunderten absolut nichts dazu gelernt, Dummheit und fehlender Respekt vor menschlichem Leben (außer dem Eigenen) obsiegen immer noch, Kriege statt Friedensbemühungen bis zum heutigen Tag. So lange man mit Kriegen noch sehr viel Geld verdienen kann und selbst Kirchen bis heute diese Art der Auseinandersetzung gutheißen, wird es immer Kriege geben. Schwierig ist die Lagebetrachtung, wie viele der hier lebenden Muslime einfach nur friedlich leben wollen, ohne extremistische Tendenzen, was sie aber mehr offerieren müssten, um die Spreu vom Weizen zu trennen. Respekt und Ansehen gegenüber akademischen Titeln sind mir fremd, allein der Mensch dahinter kann sich Respekt verdienen. Dieses ständige Mantra, dass die AfD “als gesichert rechts” eingestuft werden kann, entspringt der Urangst vor Intellekt und Pfründeverlust. Was ist Kirche – müsste neu definiert werden?

    • Theodor Danninger auf 28. April 2024 bei 19:59
    • Antworten

    Vielleicht sollten Abgeordnete der AfD bei Gelegenheit, öffentlich aus dem katholischen “Codex Iuris Canonici” zum Zölibat (can. 277, 1 CIC) zitieren:
    „Die Kleriker sind gehalten, vollkommene und immerwährende Enthaltsamkeit um des Himmelreiches willen zu wahren; deshalb sind sie zum Zölibat verpflichtet…etc.
    Um sich als Katholische Kirche nicht mit rechtsradikalen Positionierungen zu „verschwistern“, wäre damit, das seit seiner Einführung im 12 Jahrhundert heftig umstrittene Thema, ein für allemal vom Tisch

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