„Die Menschen dieses Landes sind keine Untertanen.“ – Hans-Jürgen Papier

Unterbringung und Zwangsimpfung von betreuten Menschen

von Dr. Clivia von Dewitz, Karin Adrian, Antje Triebel u. a.

Im vorliegenden Artikel werden die allgemeinen Voraussetzungen einer zwangsweisen Unterbringung und Zwangsmedikation betreuter Menschen vorgestellt. Insbesondere sollen die Voraussetzungen einer Zwangsimpfung näher beleuchtet werden. Im Anschluss daran wird der Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart-Bad Cannstatt vom 6. Dezember 2022, mit dem eine 85-jährige Betreute für zwei Jahre geschlossen untergebracht und bis 16. Januar 2023 zweifach zwangsgeimpft werden sollte, einer kritischen Analyse unterzogen.

Die Autoren gelangen zu dem Ergebnis, dass die Entscheidung, derartig schwerwiegende Grundrechtseingriffe in das Leben eines Menschen anzuordnen, unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt gerechtfertigt war. Schließlich wird in Anbetracht der Tatsache, dass der Gesetzgeber zum Jahreswechsel 2022/2023 das Betreuungsrecht „reformiert“ hat, um das Selbstbestimmungsrecht betreuter Menschen zu stärken, aufgezeigt, dass dieser gesetzgeberische Wille nach wie vor hinter der Realität zurückbleibt.

Inhalt

 I. Einführung

Die rechtliche Betreuung ist am 1. Januar 1992 mit dem Betreuungsgesetz eingeführt worden. Sie dient der Unterstützung und dem Schutz volljähriger Personen, die aufgrund einer psychischen Krankheit oder einer geistigen Einschränkung ihre Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht (mehr) eigenständig regeln können. Da die Anzahl der Betreuungsbedürftigen stetig steigt und es Ziel ist, die Selbstbestimmung von betreuten Menschen und die Qualität der rechtlichen Betreuung zu stärken, müssen Gerichte immer mehr und immer anspruchsvollere Verfahren bearbeiten, ohne dass das richterliche und nichtrichterliche Personal in diesem Bereich aufgestockt wird. Um die Arbeitsabläufe der Richter, Rechtspfleger und Servicestellen auch in der Zusammenarbeit miteinander zu unterstützen und zu optimieren, wurde das Gerichts­automati­sierungs­programm forumSTAR zwischenzeitlich in zehn Bundesländern eingeführt. Im Rahmen dessen wurden ablauffähige Formulare programmiert, in die vorgefertigte feste Textbausteine, variable Textelemente wie maskengesteuerte Benutzereingaben oder die Ergebnisse fallspezifischer Datenbankabfragen einfließen. Die Nutzung der ablauffähigen Formulare birgt die – sich in der Praxis leider oft realisierende – Gefahr, dass gerichtliche Beschlüsse aus Zeitmangel oder Überlastung nicht einzelfallbezogen und mit größter Sorgfalt begründet, sondern ohne wesentliche Ergänzung durch schlichtes Ankreuzen der vorformulierten Textelemente übernommen werden. Dieses Vorgehen wurde vom Bundesverfassungsgericht und vom Bundesgerichtshof bereits in der Vergangenheit moniert (BVerfG, Beschluss vom 14. Juli 2015, 2 BvR 1549/14, 2 BvR 1550/14, NJOZ 2016, 593, zitiert nach beck-online; BGH, Beschluss vom 5. März 2014, XII ZB 58/12, NJW-RR 2014, 641 Rn. 14).

Ein Beispiel eines Beschlusses, der mit Hilfe des Programmes forumSTAR erstellt und von der zuständigen Richterin so gut wie gar nicht auf den Einzelfall bezogen erlassen wurde, ist der Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart-Bad Cannstatt vom 6. Dezember 2022, der sowohl in den nationalen als auch den internationalen Medien heftige Kritik erfuhr. In diesem hatte die Richterin die Unterbringung einer 85-jährigen Frau in einer geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bzw. einer Pflegeeinrichtung für zwei Jahre sowie deren zwangsweise Impfung gegen COVID-19 genehmigt. Jedoch lagen weder für den Erlass des Unterbringungsbeschlusses noch für die Anordnung einer Zwangsmedikation die materiellen Voraussetzungen vor, zudem litt der Beschluss unter Verfahrensmängeln. Nach der Rechtsprechung des BGH ist eine freiheitsentziehende Unterbringung gegeben, wenn der Betroffene ohne oder gegen seinen Willen in einem räumlich begrenzten Bereich (insbesondere in einem geschlossenen Krankenhaus, einer anderen geschlossenen Einrichtung oder dem abgeschlossenen Teil einer solchen Einrichtung festgehalten, sein Aufenthalt ständig überwacht und die Kontaktaufnahme mit Personen außerhalb des Bereichs eingeschränkt wird (BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2000, FamRZ 2001, 149 (150)). Die medizinische Behandlung gegen den natürlichen Willen eines Betroffenen wird als Zwangsbehandlung definiert. Die Unterbringung greift in das Grundrecht des Betroffenen auf freie Entfaltung der Persönlichkeit ein (Art. 2 Abs. 1 GG), die Zwangsbehandlung in das Grundrecht des Betroffenen aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG, das die körperliche Integrität und damit auch das diesbezügliche Selbstbestimmungsrecht schützt (BVerfG, Beschluss vom 14. Juli 2015 – 2 BvR 1549/14, 2 BvR 1550/14, NJOZ 2016, 593, beck-online). Die freiheitssichernde Funktion des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG setzt Maßstäbe für die Aufklärung des Sachverhalts. Es ist unverzichtbare Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht (vgl. BVerfGE 70, 297 [308]; BVerfG, NJW 1998, 1774; BVerfG, Beschluss vom 2. Juni 2015, 2 BvR 2236/14, BeckRS 2015, 13215 Rn. 17).

Dennoch scheint es, wie der Justizskandal im Fall Mollath zeigte – Herr Mollath verbrachte im Rahmen eines Strafverfahrens sieben Jahre zu Unrecht im Maßregelvollzug –, dass die vom Bundesverfassungsgericht formulierten Vorgaben nicht immer eingehalten werden und Kontrollmechanismen versagen.

Im Folgenden sollen zunächst die allgemeinen Voraussetzungen der Anordnung einer geschlossenen Unterbringung sowie einer Zwangsbehandlung erörtert und daran anschließend überprüft werden, inwieweit der angeführte Beschluss diesen Anforderungen genügt.

II. Voraussetzungen einer zwangsweisen Unterbringung und Zwangsmedikation betreuter Menschen 

Nach der Verfassung steht es in der Regel jedermann frei, Hilfe zurückzuweisen, sofern dadurch nicht Rechtsgüter anderer oder der Allgemeinheit in Mitleidenschaft gezogen werden. Dieses sogenannte „Recht auf Krankheit” erkennt auch das Bundesverfassungsgericht als Ausdruck freier medizinischer Selbstbestimmung eines jeden Menschen an und beschränkt den staatlichen Schutz des Menschen vor sich selbst auf ein Mindestmaß. Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG enthält auch das negative Freiheitsrecht, nicht zu leben und nicht gesund zu bleiben (BVerfGE 128, 282 (304); Spickhoff, Nach der Reform ist vor der Reform: Zur Neuregelung der Zwangsbehandlung im Zivilrecht, in: FamRZ 2017, 1633). Es hindert den Staat daran, jeden Kranken gegen seinen freien Willen einer ärztlichen Behandlung zu unterziehen. Das Gewicht, das dem Freiheitsanspruch des Einzelnen gegenüber dem Gemeinwohl zukommt, wird indes nicht losgelöst von den tatsächlichen Möglichkeiten des Betroffenen bestimmt, sich frei zu entschließen. Wer daher seinen Willen krankheitsbedingt nicht mehr frei bilden kann, hat einen Anspruch gegen den Staat auf die notwendigen Schutzmaßnahmen. Der Staat ist anders formuliert zu einem fürsorgerischen Eingreifen gegenüber einem Betroffenen, der zur freien Willensbestimmung nicht mehr in der Lage ist, verpflichtet. Denn „die zivilrechtliche Unterbringung ist – wie das Betreuungsrecht insgesamt ein Institut des Erwachsenenschutzes als Ausdruck der staatlichen Wohlfahrtspflege, deren Anlass und Grundlage das öffentliche Interesse an der Fürsorge für den schutzbedürftigen Einzelnen ist” (BGH, Beschluss vom 14. März 2018, XII ZB 629/17, BGHZ 218, 111-122, Rn. 13). Aus dem Freiheitsgrundrecht sowie dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergeben sich jedoch strenge Anforderungen an die Rechtfertigung einer zwangsweisen Unterbringung eines Betroffenen in einer geschlossenen Anstalt. So ist im Verfahren der Genehmigung und Überprüfung freiheitsentziehender Unterbringungen insbesondere das Prinzip des „Grundrechtsschutzes durch Verfahren“ (BVerfG, Beschluss vom 14. Juni 2007, 1 BvR 338/07) zu beachten. Art. 104 Abs. 2 GG schreibt zudem vor, dass „über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung (…) nur der Richter zu entscheiden“ hat (sog. Richtervorbehalt).

1. Allgemeine Voraussetzungen einer Unterbringungsanord­­nung gemäß § 1831 Abs. 1 BGB

Die Voraussetzungen einer zivilrechtlichen freiheitsentziehenden Unterbringung eines volljährigen Betroffenen durch einen bestellten Betreuer oder einen mit einer hinreichend legitimierten Vollmacht ausgestatteten Vertreter sind in § 1831 Abs. 1 BGB (§ 1906 Abs. 1 BGB a. F.) geregelt. Mit dem Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts vom 4. Mai 2021 wurden die bis zum 31. Dezember 2022 geltenden Regelungen des § 1906 BGB nahezu wortgleich in die ab dem 1. Januar 2023 geltende Norm des § 1831 BGB übernommen.

a) Unterbringungskompetenzen

Danach setzt eine Unterbringung zunächst voraus, dass seitens des Betreuungsgerichts ein Betreuer bestellt worden ist, dem der Aufgabenbereich der mit Freiheitsentziehung verbundenen Unterbringung des Betroffenen nach § 1831 Abs. 1 BGB ausdrücklich zugewiesen wurde (vgl. § 1815 Abs. 2 Nr. 1 BGB), oder aber einem Vorsorgebevollmächtigten die Befugnis zur Unterbringung durch eine Vorsorgevollmacht ausdrücklich eingeräumt wurde (§ 1820 Abs. 2 Nr. 2 BGB, § 1831 Abs. 5 BGB).

b) Freiheitsentziehung nur gegen den Willen möglich

Wie sich aus der Begriffsbestimmung der Freiheitsentziehung in § 415 Abs. 2 des FamFG ergibt, liegt eine freiheitsentziehende Unterbringung weiterhin nur dann vor, wenn der Betroffene gegen seinen Willen oder im Zustand der Willenlosigkeit in einer abgeschlossenen Einrichtung, wie in einem Gewahrsamsraum oder einem abgeschlossenen Teil eines Krankenhauses, für eine gewisse Dauer untergebracht wird, wobei hier nicht der rechtsgeschäftliche, sondern der natürliche Wille des Betroffenen entscheidend ist (sog. enger Unterbringungsbegriff, vgl. BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2000, XII ZB 69/00). Eine wirksame Einwilligung in die Freiheitsentziehung setzt indes die Fähigkeit des Betroffenen voraus, seinen Willen frei zu bestimmen, d. h. der Betroffene muss bzgl. der Tragweite der Maßnahme einsichtsfähig sein (BT-Drucksache 11/4528, S. 146; BayObLG, Beschluss vom 14. Februar 1996, 3Z BR 15/96, Rn. 9, zitiert nach juris). Hierfür ist es nicht nur erforderlich, dass der Betroffene erfasst, geschlossen untergebracht zu sein. Vielmehr muss er auch in der Lage sein zu verstehen, weshalb die geschlossene Unterbringung in seiner konkreten Situation erforderlich ist (Schneider, in: MünchKomm-BGB, 8. Aufl. 2020, § 1906, Rn. 19, 20) und sein Handeln hiernach ausrichten können. Die zwangsweise Unterbringung muss schließlich primär zum Schutz des Betroffenen, der an einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung leidet, erforderlich sein.

c) Verhältnismäßigkeitsprinzip

Die Unterbringung nach § 1831 Abs. 1 BGB muss zudem geeignet und erforderlich sein. Die Freiheitsentziehung selbst darf nicht außer Verhältnis zum angestrebten Zweck stehen. Präventive Eingriffe in das Freiheitsgrundrecht sind nur zulässig, wenn der Schutz hochwertiger Rechtsgüter dies unter strikter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfordert (vgl. BVerfG, Urteil vom 4. Mai 2011, 2 BvR 2365/09 , 740/10, 2333/08, 1152/10, 571/10, NJW 2011, 1931 Rn. 98 m. w. N.). Kann die Gefahr durch andere Mittel als die freiheitsentziehende Unterbringung abgewendet werden, kommt eine Unterbringung als unverhältnismäßig nicht in Betracht (BGH, Beschluss vom 9. Januar 2019, XII ZB 280/18, Rn. 14, zitiert nach juris). Soweit für den Betroffenen durch geeignete und bereite ambulante Hilfen etwa die Einnahme von geeigneten Medikamenten mit passender Überwachung im häuslichen Umfeld sichergestellt werden kann, ist eine Unterbringung unverhältnismäßig (BGH, Beschluss vom 21. September 2011, XII ZB 263/11, Rn. 13, zitiert nach juris).

2. Materielle Voraussetzungen einer Unterbringung gem. § 1831 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 BGB

a) Voraussetzungen einer allgemeinen Unterbringung im Sinne des § 1831 Abs. 1 Nr. 1 BGB (Eigengefährdung)

Voraussetzung für eine geschlossene Unterbringung nach § 1831 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist, dass dem Betroffenen aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung eine Eigengefährdung drohen muss.

Die Genehmigung einer geschlossenen Unterbringung nach § 1831 Abs. 1 Nr. 1 BGB setzt dabei eine ernstliche und konkrete Gefahr für Leib oder Leben des Betroffenen voraus, die aufgrund von Tatsachen durch eine Prognoseentscheidung festzustellen ist. Die Gefahr für Leib oder Leben setzt kein zielgerichtetes Verhalten voraus, so dass auch eine völlige Verwahrlosung ausreichen kann, wenn damit eine Gesundheitsgefahr durch körperliche Verelendung und Unterversorgung verbunden ist. Andererseits kann z. B. die Gefahr der Zufügung eines erheblichen gesundheitlichen Schadens nicht bereits aufgrund einer Verweigerung der Einnahme erforderlicher Medikamente bejaht werden. Es sind vielmehr in jedem Fall objektivierbare und konkrete Anhaltspunkte für den Eintritt eines erheblichen Gesundheitsschadens erforderlich (BGH, Beschluss vom 20. Juli 2022, XII ZB 81/22, Rn. 8, zitiert nach juris), die u. a. anhand früherer Krankheitsverläufe, Verhaltensmuster, anhand der bisherigen Entwicklung des Betroffenen und dessen Krisenanfälligkeit festgestellt werden können (BGH, Beschluss vom 13. Januar 2010, XII ZB 248/09, FGPrax 2010, 96).

b) Voraussetzungen einer sog. „medizinischen Unterbringung“ im Sinne des § 1831 Abs. 1 Nr. 2 BGB

Voraussetzung der sogenannten „medizinischen Unterbringung“ im Sinne des § 1831 Abs. 1 Nr. 2 BGB ist, dass

(1) zur Abwendung eines drohenden erheblichen gesundheitlichen Schadens

(2) eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff notwendig ist,

(3) die Maßnahme ohne die Unterbringung des Betroffenen nicht durchgeführt werden kann und

(4) der Betroffene aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann.

Mit dem durch das Gesetz zur Änderung der materiellen Zulässigkeitsvoraussetzungen von ärztlichen Zwangsmaßnahmen und zur Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von Betreuten vom 17. Juli 2017 neu normierten § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB, der nahezu wortgleich in die Regelung des § 1831 Abs. 1 Nr. 2 BGB überführt wurde, hat der Gesetzgeber die vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 26. Juli 2016 (BVerfGE 142, 313 ff.) aufgestellten Grundsätze zur Unterbringung zum Zwecke der Zwangsmedikation umgesetzt.

Ist eine Heilbehandlung nur unter Zwang möglich, so ist eine Genehmigung der Unterbringung zu diesem Zweck nur zulässig, wenn die Voraussetzungen für eine ärztliche Zwangsmaßnahme im Sinne des § 1832 BGB vorliegen und diese nach § 1832 Abs. 2 BGB rechtswirksam genehmigt wurde.

Da eine Unterbringung nach dieser Vorschrift gerade nicht an die engeren Voraussetzungen des § 1831 Abs. 1 Nr. 1 BGB (Suizidgefahr, erhebliche Gesundheitsbeschädigung) gebunden ist, kommt dem Verhältnismäßigkeitsprinzip bei der Anwendung dieser Regelung als notwendigem Korrektiv für Eingriffe in das Freiheitsrecht besondere Bedeutung zu. Für eine die Unterbringung rechtfertigende Heilbehandlung muss deshalb im Einzelfall eine medizinische Indikation bestehen und der mögliche therapeutische Nutzen der Behandlung gegen die Gesundheitsschäden abgewogen werden, die ohne die Behandlung, ggf. unter Berücksichtigung vorhandener Behandlungsalternativen, entstehen würden (BGH, Beschluss vom 8. April 2020, XII ZB 561/19, Rn. 18, zitiert nach juris; BGH, Beschluss vom 23. Juni 2010, XII ZB 118/10).

Die beabsichtigte ärztliche Maßnahme kann sowohl der Behandlung der sogenannten Anlasskrankheit, also insbesondere der psychischen Krankheit, die zur Betreuerbestellung geführt hat, als auch hinsichtlich der Behandlung von Krankheiten, die nicht Grundlage der Betreuerbestellung waren, dienen. Entscheidend ist aber in beiden Fällen, dass die Nichtvornahme der notwendigen Behandlung ihre Ursache in der psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung der Betreuten hat (Jürgens/Marschner, BGB, 7. Aufl. 2023, § 1831, Rn. 25).

Um diese doppelte Verlaufsprognose vornehmen zu können, muss damit zum Zeitpunkt der Entscheidung die vorzunehmende ärztliche Maßnahme mitsamt der medizinischen Indikation bereits feststehen (BGH, Beschluss vom 30. Juni 2021, XII ZB 191/21). Eine Unterbringung zum Zwecke der Feststellung der medizinischen Behandlungsvoraussetzungen – wie z. B. der Feststellung der Impffähigkeit – ist nicht von § 1831 Abs. 1 Nr. 1 BGB erfasst. Diese richtet sich vielmehr nach den §§ 322 und 284 FamFG. Eine vorläufige Unterbringung bis zur Entscheidung über die Zwangsmedikation im Hauptverfahren, ohne dass eine Zwangsbehandlung im Rahmen der vorläufigen Unterbringung möglich ist, ist ebenso wenig zulässig (vgl. hierzu auch ohne Entscheidung in der Sache BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 13. Januar 2022, 2 BvR 93/21, zitiert nach juris).

3. Materielle Voraussetzungen des § 1832 BGB (Ärztliche Zwangsmaßnahmen)

Die Unterbringung nach § 1831 Abs. 1 Nr. 2 BGB rechtfertigt nicht bereits den massiven Grundrechtseingriff, welcher mit einer Zwangsbehandlung gegen den Willen des Betroffenen einhergeht. Vielmehr ist die Rechtsgrundlage für die ärztliche Zwangsbehandlung selbst § 1832 BGB (§ 1906a BGB a. F.). Die hierin aufgeführten tatbestandlichen Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen.

Bei der Ausgestaltung der tatbestandlichen Voraussetzungen der ärztlichen Zwangsmaßnahme hatte der Gesetzgeber im Blick, dass es sich bei einer solchen Zwangsbehandlung wegen des mit ihr verbundenen erheblichen Eingriffs in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, das auch das Recht auf Selbstbestimmung hinsichtlich der körperlichen Integrität schützt, nur um die ultima ratio handeln darf (BGH, Beschluss vom 30. Juni 2021,  XII ZB 191/21 (LG Duisburg), NZFam 2021, 972 Rn. 8, zitiert nach beck-online).

a) Notwendigkeit eines drohenden erheblichen gesundheitlichen Schadens

So ist eine ärztliche Zwangsmaßnahme nach § 1831 Abs. 1 Nr. 2 BGB, welche dem natürlichen Willen des Betroffenen widerspricht, zunächst nur zulässig, wenn sie zur Abwendung eines drohenden erheblichen gesundheitlichen Schadens für den Betreuten notwendig ist (§ 1832 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB). Denn die Überwindung des entgegenstehenden natürlichen Willens des Betreuten im Wege der Zwangsbehandlung kann nach Auffassung des Bundesgerichtshofs nur dann gerechtfertigt sein, wenn es gilt, gewichtige gesundheitliche Nachteile des Betreuten zu verhindern. Umgekehrt ist dessen natürlicher Wille zu respektieren, wenn auch bei Unterbleiben der Behandlung keine wesentlichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen zu erwarten sind (BGH, Beschluss vom 15. Januar 2020, XII ZB 381/19, FamRZ 2020, 534 Rn. 18).

Dabei beurteilt sich die Notwendigkeit einer Maßnahme nach den seitens der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Zusammenhang mit der Zwangsbehandlung einer psychischen Anlasserkrankung aufgestellten Grundsätzen „am Maßstab objektivierter, evidenzbasierter Notwendigkeitskriterien” (BGH, Beschluss vom 30. Juni 2021, XII ZB 191/21 im Anschluss an BGH, FamRZ 2020, 534 Rn. 23).

In Anwendung dieser bislang alleine zur Zwangsbehandlung einer Anlasserkrankung aufgestellten Grundsätze kann zunächst festgestellt werden, dass eine Impfung tatbestandsmäßig von § 1831 Abs. 1 Nr. 2 BGB über den Auffangtatbestand des ärztlichen Eingriffs erfasst wird, der für alle ärztlichen Handlungen, die keine Untersuchung des Gesundheitszustands oder Heilbehandlung darstellen und damit nicht der Wiederherstellung der Gesundheit dienen, Anwendung findet (Lipp/Güttler, BtPrax 2017, 94, 96; Bauer/Lenk in: Bauer/Klie/Lütgens/Schwedler, HK zum Betreuungs- und Unterbringungsrecht, I. Sprachgebrauch, Rn. 1; Soergel/Zimmermann, BGB, 13. Bearb., § 1905 Rn. 25). Demgemäß bedarf sie, soweit sie dem natürlichen Willen des Betroffenen widerspricht, der betreuungsgerichtlichen Genehmigung unter Beachtung der Vorgaben des § 1832 BGB.

Weder das Tatbestandsmerkmal des drohenden erheblichen Schadens noch das der Notwendigkeit des ärztlichen Eingriffs dürfte bei einer prophylaktischen COVID-19-Impfung zum jetzigen Zeitpunkt zu bejahen sein.

Bezogen auf die Infektion mit SARS-CoV-2 ist trotz der allgemeinen STIKO-Empfehlung als Handlungsempfehlungen eines institutionalisierten Expertengremiums für alle Menschen für die Frage des drohenden erheblichen gesundheitlichen Schadens insbesondere zu berücksichtigen, dass ein schwerer Krankheitsverlauf mittlerweile die Ausnahme ist und auch neue Virusvarianten den Krankheitsverlauf von COVID-19 ebenso wesentlich beeinflussen wie eine bereits durchlaufene Infektion mit SARS-CoV-2.

Für die Frage, ob die Durchführung der Impfung gegen den natürlichen Willen zum derzeitigen Zeitpunkt unter Berücksichtigung des aktuellen Infektionsgeschehens sowie der mit der vorherrschenden Virusvariante einhergehenden Gefahren für den Betroffen noch notwendig im Sinne des § 1832 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist, sind nicht nur die konkreten Lebensumstände des Betroffenen und das individuelle Infektionsrisiko zu beurteilen, sondern auch ein etwaiger Immunschutz durch vorangegangene Infektionen in die Bewertung einzubeziehen. Insbesondere im Fall eines Antikörpernachweises ist die Annahme eines drohenden erheblichen gesundheitlichen Schadens bei den Betroffenen nicht gerechtfertigt. Zudem spricht gegen die Notwendigkeit einer zwangsweisen COVID-19-Impfung der zwischenzeitlich in der Medizin erreichte Fortschritt bei der Diagnostik zur Früherkennung von Infektionen und der symptomatischen und antiviralen Behandlung einer COVID-19-Infektion sowie die erheblichen Zweifel an einer günstigen Nutzen-Risiko-Relation der einerseits eine Infektion ebenso wie eine Übertragung nicht zuverlässig verhindernden und andererseits die Gefahr eines (unter Umständen schweren) Impfschadens bergenden Impfstoffe.

b) Mangelnde Einsichtsfähigkeit der betroffenen Person

§ 1832 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BGB setzt weiter voraus, dass die betroffene Person aufgrund einer psychischen Krankheit die Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann. Obgleich eine Zwangsmedikation bereits per definitionem nur gegen den natürlichen Willen des Betreuten erfolgen kann, erlangt das Tatbestandsmerkmal der fehlenden Einsichtsfähigkeit dadurch Bedeutung, als es den Betreuer und nachfolgend die Gerichte zwingt, die fehlende Einsichtsfähigkeit des Betroffenen bezogen auf die ärztliche Maßnahme positiv festzustellen (Dodegge, Ärztliche Zwangsmaßnahmen und Betreuungsrecht, in: NJW 2013, 1265, 1266; vgl. auch BVerfG FamRZ 2015, 1589, Rn 29 f). Bezugspunkt der Einsichtsfähigkeit ist gerade nicht die Einsichtsfähigkeit bzgl. des Aufenthaltes in einer geschlossenen Abteilung eines Krankenhauses oder ob der Betroffene in Bezug auf rechtsgeschäftliche Willenserklärungen geschäftsfähig ist (§ 104 BGB). Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung wird die Einsichtsfähigkeit regelmäßig daran gemessen, ob der Betroffene Art, Grund, Tragweite und Bedeutung der zu treffenden Entscheidung verstehen oder hiernach handeln kann, insbesondere das Für und Wider der zugrunde liegenden Umstände abzuschätzen weiß (BGH, Beschluss vom 9. Februar 2011 – XII ZB 526/10, FamRZ 2011, 630).

Bezogen auf eine prophylaktische Impfung als ärztliche Zwangsmaßnahme bedeutet dies folgendes:

(1) Lehnt ein nicht einwilligungsfähiger Betroffener eine Impfung mit natürlichem Willen ab, so liegt unabhängig davon, ob dies dem Willen des Betroffenen entspricht, eine Zwangsbehandlung im Sinne des § 1832 BGB vor. Die Impfung ist dann nur zulässig, wenn sie zur Abwehr eines drohenden erheblichen gesundheitlichen Schadens notwendig ist.

(2) Widerspricht die Impfung oder sonstige ärztliche Zwangsmaßnahme dem (mutmaßlichem) Willen des Betroffenen, darf sie nicht durchgeführt werden, wie sich aus § 1832 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BGB ergibt. Dabei kommt dem Betroffenen grundsätzlich ein Recht auf Unvernunft und eine Freiheit zur Krankheit zu (BGH, Beschluss vom 30. März 2022, XII ZB 35/22, Rn. 15, zitiert nach juris).

(3) Hat der einwilligungsunfähige Betroffene seinen Willen in einer Patientenverfügung nach § 1827 BGB fest verankert, so ist diese Erklärung sowohl für den Betreuer/Bevollmächtigten als auch für das Gericht bindend. Hat der Betroffene daher in einer Patientenverfügung prophylaktische Maßnahmen, wie z. B. Impfungen, untersagt, so ist eine ärztliche Zwangsmaßnahme unzulässig, sofern die in der Patientenverfügung niedergelegte Entscheidung auf die aktuelle eingetretene Lebens- und Behandlungssituation des Betroffenen zutrifft (§ 1827 Abs. 1 BGB).

(4) Andernfalls hat der Betreuer den mutmaßlichen Willen des Betroffenen (§ 1827 Abs. 2 BGB) anhand konkreter Anhaltspunkte in Form von früheren Äußerungen, ethischen oder religiösen Überzeugungen und sonstigen persönlichen Wertvorstellungen festzustellen. Insoweit ist es in erster Linie die Aufgabe des Betreuers/Bevollmächtigten nach § 1827 Abs. 2 BGB festzustellen, ob die Impfung oder sonstige ärztliche Zwangsmaßnahme dem (mutmaßlichen) Willen des Betroffenen entspricht. Er hat hierzu – sofern dies ohne erhebliche Verzögerung möglich ist – nahen Angehörigen und sonstigen Vertrauenspersonen des Betroffenen Gelegenheit zur Äußerung zu geben.

(5) Nur wenn nach Ausschöpfung aller Erkenntnismöglichkeiten der (mutmaßliche) Wille des Betroffenen nicht feststellbar ist, wird dem Schutz des Lebens und der Gesundheit Vorrang einzuräumen sein. Nur für den Fall, dass eine Impfung unter Abwägung aller Risiken und Nebenwirkungen im konkreten Einzelfall medizinisch indiziert ist, kann die Entscheidung zugunsten der Impfung getroffen werden. Die Impffähigkeit des Betroffenen muss allerdings bereits zu diesem Zeitpunkt positiv feststehen.

c) Vorangegangene Überzeugungsarbeit

Weiter ist nach § 1832 Abs. 1 Satz  1 Nr. 4 BGB erforderlich, dass zuvor ernsthaft, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung unzulässigen Drucks versucht wurde, den Betroffenen von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen. Der Überzeugungsversuch ist dabei als materielle Genehmigungsvoraussetzung im Beschluss in jedem Einzelfall festzustellen und im Beschluss in nachprüfbarer Weise darzulegen (BGH, Beschluss vom 12. September 2018, XII ZB 87/18, Rn. 19, zitiert nach juris). Formelhafte Sätze verbieten sich an dieser Stelle. Zum Überzeugungsversuch berufen sind zwar Betreuer, behandelnde Ärzte und Vertrauenspersonen. Bezogen auf eine prophylaktische Impfung bedarf es im Zusammenhang mit den Überzeugungsversuchen gerade auch einer ärztlich verantworteten Aufklärung über den Sinn der Impfung und den mit der Durchführung und der Nichtdurchführung der Impfung verbundenen Risiken, sowie den sich aus der Impfung ergebenden gesundheitlichen Vorteilen. Nur so kann eine vollständig informierte Einwilligung („informed consent“) zu der grundsätzlich in jedem medizinischen Eingriff liegenden strafbewehrten Körperverletzung erteilt werden.

d) Subsidiarität der Zwangsbehandlung

Als Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes normiert § 1832 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BGB zudem das Gebot der Subsidiarität der Zwangsbehandlung zu anderen zumutbaren Maßnahmen. Der Gesetzgeber spricht davon, dass keine andere, weniger belastende Maßnahme möglich sein darf, die den drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden des Betreuten abwendet. Neben alternativen Behandlungsmethoden sind auch sonstige, die Impfung entbehrlich machende Maßnahmen (BGH, Beschluss vom 30. Juni 2021, XII ZB 191/21, Rn. 28, juris) von Amts wegen seitens des Gerichts zu prüfen. Hier ist insbesondere zu prüfen, ob eine durch die Lebensumstände des Betroffenen bedingte erhöhte Infektionsgefahr (z. B. Tätigkeit im medizinischen Bereich, Pflege durch häufig wechselndes Pflegepersonal) vorliegt und eine Veränderung der Lebensumstände als mildere Maßnahme zur Verringerung des Infektionsrisikos in Betracht kommt.

e) Nutzen überwiegt Nachteil

Weiterhin verlangt die Verhältnismäßigkeitsprüfung im engeren Sinn nach § 1832 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 BGB, dass der zu erwartende Nutzen der ärztlichen Zwangsmaßnahme die zu erwartenden Beeinträchtigungen (Schaden) deutlich überwiegt. Es ist hier eine Prognose auf ausreichender Tatsachenebene anzustellen, ob die zu erwartenden positiven Auswirkungen einer Impfung die zu erwartenden negativen Neben- und Auswirkungen einschließlich der möglichen Komplikationen überwiegen.

f) Keine ambulante Zwangsbehandlung

Schließlich kann eine Zwangsbehandlung nicht ambulant, sondern gemäß § 1832 Abs. 1 Nr. 7 BGB nur im Rahmen eines stationären Aufenthaltes in einem Krankenhaus, in dem die gebotene medizinische Versorgung des Betroffenen einschließlich einer erforderlichen Nachbehandlung sichergestellt ist, durchgeführt werden.

4. Das Genehmigungsverfahren

Aufgrund des Richtervorbehalts hat über jede Freiheitsentziehung – auch über die Unterbringung durch den Betreuer – der Richter zu entscheiden. Das Verfahren hierzu ist im FamFG geregelt.

Ausgangspunkt der Verfahren sind in der Regel die Anträge der zuständigen Betreuer bzw. Bevollmächtigten. Diese müssen die jeweilige Maßnahme anordnen. Eines ausdrücklichen Antrags auf Genehmigung durch das Gerichts bedarf es nicht, es muss allerdings für das Gericht aufgrund des Verhaltens des Betreuers erkennbar sein, dass dieser die Maßnahme angeordnet hat und die Genehmigung des Gerichts wünscht (BGH, Beschluss vom 28. Juli 2015, XII ZB 44/15, NJW-RR, 1347). 

a) Verfahrenspflegerbestellung

Im Rahmen des dann bei Gericht anhängigen Genehmigungsverfahrens hat das Gericht einen Verfahrenspfleger zu bestellen (§ 317 Abs. 1 FamFG), wenn dies zur Wahrnehmung der Interessen des Betroffenen erforderlich ist, und zwar möglichst so frühzeitig, dass dieser noch auf die Entscheidung des Gerichts Einfluss nehmen kann (BGH, Beschluss vom 13. Mai 2020, XII ZB 541/19, NJW 2020, 2728).

Eine Ausnahme von der Verfahrenspflegerbestellung ist in § 317 Abs. 5 FamFG geregelt, nämlich dann, wenn die Interessen des Betroffenen bereits von einem Rechtsanwalt oder einem anderen geeigneten Verfahrensbevollmächtigten vertreten werden. § 316 FamFG regelt nämlich, dass der Betroffene auch in Unterbringungssachen immer als verfahrensfähig anzusehen ist, ohne dass es auf seine Geschäftsfähigkeit oder auf die Fähigkeit ankommt, einen natürlichen Willen zu bilden. Dies umfasst dabei auch die Befugnis, einen Verfahrensbevollmächtigten zu bestellen (BGH, Beschluss vom 30. Oktober 2013, XII ZB 317/13, NJW 2014, 215).

b) Förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens

Gemäß § 321 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat vor einer Unterbringungsmaßnahme eine förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme stattzufinden. Diese Gesetzesnorm enthält eine Spezialregelung zu dem auch in Unterbringungssachen geltenden Amtsermittlungsgrundsatz (§ 26 FamFG), indem die Vorschrift das Gericht vor der Entscheidung über eine Unterbringungsmaßnahme i. S. v. § 312 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 3 BGB im Wege der förmlichen Beweisaufnahme zur Einholung eines Gutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme zwingend verpflichtet. Dadurch soll sichergestellt werden, dass diese erheblich in die Rechte des Betroffenen eingreifenden Maßnahmen nur auf einer sorgfältigen Ermittlung der für ihre Anordnung erforderlichen medizinischen Voraussetzungen getroffen werden.

Für das Sachverständigengutachten ist nach § 321 Abs. 1 Satz 2 FamFG eine persönliche Untersuchung und Befragung des Betroffenen Pflicht, welche nur in einem zeitlich geringen Abstand vor der Erstattung liegen darf (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 8. Mai 2000, 9 Wx 7/00, FamRZ 2001, 40).

Um dem Gericht die notwendige eigene kritische Überprüfung zu ermöglichen, muss das Gutachten namentlich Art und Ausmaß der Erkrankung im Einzelnen anhand der Vorgeschichte, der durchgeführten Untersuchung und der sonstigen Erkenntnisse darstellen und wissenschaftlich begründen (BGH, Beschluss vom 15. September 2010 – XII ZB 383/10, NJW 2011, 520, beck-online). Im Fall einer ärztlichen Zwangsmaßnahme hat der medizinische Sachverständige auch die Angabe des Arzneimittels, der Wirkstoffgruppe und Dosierung sowie der Verabreichungshäufigkeit, ggf. der Behandlungsalternativen herauszuarbeiten und einzugrenzen (Schmidt-Recla in MüKoFamFG, 3. Aufl. 2019, FamFG § 323 Rn. 12).

§ 321 Abs. 1 Satz 3 FamFG regelt darüber hinaus, dass das Gutachten sich auch auf die voraussichtliche Dauer der Unterbringungsmaßnahme erstrecken soll. 

Die Verwertung des Sachverständigengutachtens als Grundlage einer Entscheidung setzt voraus, dass dieses an die Beteiligten, insbesondere aber auch an den Betroffenen persönlich sowie an den Verfahrenspfleger vor der Anhörung (BGH, Beschluss vom 6. April 2022, XII ZB 371/21, NJW 2022, 2189), herausgegeben und diesen hierzu rechtliches Gehör bzw. eine Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt wird, § 30 Abs. 4, § 37 Abs. 2 FamFG. In Anlehnung an § 325 FamFG kann von der Bekanntgabe des Gutachtens an den Betroffenen persönlich lediglich dann abgesehen werden, wenn dadurch erhebliche Nachteile für dessen Gesundheit zu erwarten sind und die Erwartung gerechtfertigt ist, dass der Verfahrenspfleger mit dem Betroffenen das Gutachten bespricht (BGH, Beschluss vom 8. März 2017, XII ZB 516/16, NJW-RR 2017, 644).

c) Anhörung

Bevor das Gericht entscheidet, hat es den Betroffenen persönlich anzuhören und sich einen persönlichen Eindruck von ihm zu verschaffen, so § 319 FamFG. § 320 FamFG regelt, dass neben dem Betroffenen auch die weiteren Verfahrensbeteiligten gem. § 315 FamFG anzuhören sind. Allerdings haben diese auch ein Recht auf Teilhabe an der Anhörung des Betroffenen.

d) Verständigung des Konsulats bei nicht deutschen Staatsangehörigen

Am Rande sei darauf hingewiesen, dass dem Gericht bei nicht deutschen Staatsangehörigen, denen schon die Freiheit entzogen worden ist, eine Belehrungspflicht bezüglich der Möglichkeit, das jeweilige Konsulat zu verständigen gem. Art. 36 Abs. 1 b) WÜK obliegt (LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 21. November 2013, 13 T 8854/13, BeckRS 2014, 16667).

e) Entscheidung durch Beschluss, Dauer der Unterbringung und Begründungspflicht (§§ 329, 323, 38 FamFG)

In Unterbringungssachen entscheidet das Gericht immer durch Beschluss, §§ 323, 38 FamFG.

§ 323 FamFG sieht hierbei über die Regelung des § 38 FamFG hinausgehende Besonderheiten der Tenorierung von Unterbringungsmaßnahmen vor. Dabei muss gem. § 323 Abs. 1 Nr. 1 FamFG bei der Unterbringung unter anderem zum Ausdruck kommen, ob eine Anordnung eines Betreuers genehmigt oder ob die Maßnahme durch das Gericht angeordnet wurde und in welcher allgemeinen Art der Einrichtung die Unterbringung erfolgen soll. Gemäß § 323 Abs. 1 Nr. 2 FamFG muss weiter der Zeitpunkt angegeben werden, zu dem die Unterbringungsmaßnahme endet, wobei dies aus Praktikabilitätsgründen – soweit möglich – mit einer konkreten Datumsangabe erfolgen sollte. 

Gemäß § 38 Abs. 3 Satz 1 FamFG ist der Beschluss zu begründen. Enthält ein Beschluss keine ordnungsgemäße Begründung, ist dieser zwar verfahrensfehlerhaft, allerdings trotzdem wirksam (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27. Juni 2013, 3 Wx 61/11, BeckRS 2013, 11168, zitiert nach beck-online). Lediglich formelhafte Ausführungen genügen einer ordnungsgemäßen Begründung nicht (BVerfG, Beschluss vom 14. Juli 2015, 2 BvR 1549/14, 2 BvR 1550/14, NJOZ 2016, 593, zitiert nach beck-online; BGH, Beschluss vom 5. März 2014, XII ZB 58/12, NJW-RR 2014, 641 Rn. 14)

§ 329 FamFG ergänzt dabei § 323 Abs. 1 Nr. 2 FamFG. Nach § 329 Abs. 1 FamFG endet die Unterbringungsmaßnahme „spätestens mit Ablauf eines Jahres, bei offensichtlich langer Unterbringungsbedürftigkeit spätestens mit Ablauf von zwei Jahren, wenn sie nicht vorher verlängert wird“. Hierzu hat der BGH mit Beschluss vom 30. März 2022, XII ZB 197/21 (NJW-RR 2022, 1010, beck-online) ausgeführt: Die in § 329 Abs. 1 Satz 1 FamFG bestimmte Befristung einer Unterbringung auf längstens ein Jahr stelle eine gesetzliche Begrenzung dar, die nur unter besonderen Voraussetzungen und mit ausreichender Begründung überschritten werden dürfe (dazu auch BGH, Beschluss vom 14. März 2018 – XII ZB 629/17, NJW 2018, 1548 und BGH, Beschluss vom 21. April 2021 – XII ZB 520/20, NJW-RR 2021, 793, je beck-online).

Wird über die regelmäßige Höchstfrist der geschlossenen Unterbringung von einem Jahr hinaus eine Unterbringung von bis zu zwei Jahren genehmigt oder angeordnet, ist diese Abweichung vom Regelfall im Hinblick auf den hohen Rang des Rechts auf Freiheit der Person somit ausreichend zu begründen. Solche Gründe können sich etwa aus konkreten Feststellungen über die Dauer einer notwendigen Therapie oder aus fehlenden Heilungs- und Besserungsaussichten bei anhaltender Eigengefährdung ergeben (BGH, Beschluss vom 21. April 2021 – XII ZB 520/20, Rn. 9; BGH, Beschluss vom 6. April 2016 – XII ZB 575/15, NJW 2016, 1960 Rn. 14 m. w. N.). Dabei erfordert das im Gesetz genannte Merkmal der „Offensichtlichkeit“, dass die Gründe für eine über ein Jahr hinaus währende Unterbringungsbedürftigkeit für das sachverständig beratene Gericht deutlich und erkennbar hervortreten (BGH, Beschluss vom 30. März 2022 – XII ZB 197/21, NJW-RR 2022, 1010 Rn. 10, zitiert nach beck-online). Bei der Frist des § 329 FamFG handelt es sich aber auch nicht um eine Regelfrist. Das Betreuungsgericht hat vielmehr unter strikter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die Dauer der Unterbringungsmaßnahme festzusetzen und diese kann daher auch für einen kürzeren Zeitraum festgelegt werden (BGH, Beschluss vom 29. September 2021, XII ZB 300/21, BeckRS 2021, 32618, zitiert nach beck-online). Der Fristbeginn hat sich an der Erstellung des Gutachtens zu orientieren; die Frist beginnt nicht erst mit der gerichtlichen Entscheidung (BGH, s. o.).

Bei der Bestimmung der Dauer der Unterbringungsmaßnahme muss sich das Gericht der Hilfe eines Sachverständigen bedienen. Deshalb sieht § 321 Abs. 1 Satz 3 FamFG vor, dass sich das zwingend vor einer Unterbringungsmaßnahme einzuholende Sachverständigengutachten auch auf die voraussichtliche Dauer der Unterbringung erstrecken soll. Will das Gericht von der im Gutachten vorgeschlagenen Frist abweichen, bedarf dies der besonderen Begründung (BeckOK FamFG/Günter, 44. Ed. 1. Oktober 2022, FamFG § 329 Rn. 3).

f) Zwangsbehandlung

§ 323 Abs. 2 FamFG sieht weiterhin vor, dass bei ärztlichen Zwangsmaßnahmen der Tenor auch Angaben zur Durchführung und Dokumentation dieser Maßnahme in der Verantwortung eines Arztes enthält. Ob daneben im Tenor auch die genaue Art des Medikamentes, des Wirkstoffs, der Dosierung usw. anzugeben ist, ist umstritten. Einerseits fordert der BGH, dass „in der Genehmigung“ die von dem Betreuten zu duldende Behandlung so präzise wie möglich anzugeben ist, weil sich nur aus diesen Angaben Inhalt, Gegenstand und Ausmaß der von dem Betreuten zu duldenden Behandlung hinreichend konkret und bestimmbar ergeben (vgl. OLG Düsseldorf, FamRZ 1995, 118); dazu gehören bei einer Behandlung durch Verabfolgung von Medikamenten in der Regel auch die möglichst genaue Angabe des Arzneimittels oder des Wirkstoffs und deren (Höchst-)Dosierung sowie Verabreichungshäufigkeit; insoweit kann es sich empfehlen, vorsorglich auch alternative Medikationen für den Fall vorzusehen, dass das in erster Linie vorgesehene Medikament nicht die erhoffte Wirkung hat oder vom Betreuten nicht vertragen wird (BGH, Beschluss vom 1. Februar 2006, XII ZB 236/05, NJW 2006, 1277 Rn. 27). Auf diesen Beschluss nehmen die Gesetzesmaterialien (BT-Drucksache 17/11513, S. 8) Bezug und führen aus, dass beim Inhalt der Beschlussformel von den Anforderungen dieser Entscheidung auszugehen ist. Allerdings wird dann lediglich auf die Verantwortung des Arztes und die Dokumentationspflicht verwiesen.

Da dies in Kenntnis der Rechtsprechung also so ausdrücklich nicht in § 323 Abs. 2 FamFG übernommen wurde, gibt es daher auch Meinungen in der Literatur, dass diese Angaben nicht in der Beschlussformel enthalten sein müssen, sondern dass es genügt, wenn sich die Begründung des Beschlusses im Rahmen der Verhältnismäßigkeit hiermit auseinandersetzt (so etwa Dodegge, Ärztliche Zwangsmaßnahmen und Betreuungsrecht, in: NJW 2013, 1265). Tatsächlich gibt es auch Entscheidungen des BGH (BGH, Beschluss vom 17. Januar 2018, XII ZB 398/17; NJW 2018, 1086), bei denen er eine solche unkonkrete Tenorierung nicht beanstandet hat. Zumindest aber in der Begründung hat eine genaue Auseinandersetzung hiermit zu erfolgen.

III. Der Beschluss des AG Stuttgart-Bad Cannstatt vom 6. Dezember 2022

Diesen gesetzlichen Anforderungen wird der Beschluss des AG Stuttgart-Bad Cannstatt nicht gerecht:

1. Zum Verfahrenshergang

Am 6. Dezember 2022 genehmigte das Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt, die Anordnung der Betreuerin, die 85-jährige Inna Z., geboren in der Ukraine, in einer geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bzw. einer Pflegeeinrichtung für zwei Jahre unterzubringen. Darüber hinaus wurde die Einwilligung der Betreuerin in folgende ärztliche Zwangsmaßnahme: „Impfung gegen Covid19 (Corona) durch zwei Impfungen zur Grundimmunisierung jeweils nach internistischer Prüfung der Impffähigkeit“ bis längstens 16. Januar 2023 genehmigt.

Auf den Antrag des Rechtsanwalts der Betroffenen an das Landgericht Stuttgart hat dieses die sofortige Wirksamkeit und die Vollziehbarkeit der Entscheidung über die Zwangsmedikation am 11. Januar 2023 und über die Entscheidung einer Unterbringung am 30. Januar 2023 einstweilen ausgesetzt. Das LG Stuttgart hat bisher nicht über die Beschwerde entschieden (Stand 12. Februar 2023).

2. Genehmigung der Anordnung einer geschlossenen Unterbringung nach § 1831 Abs. 1 Nr. 1 BGB (§ 1906 Abs. 1 a. F.) durch den Beschluss vom 6. Dezember 2022

Der Beschluss enthält zunächst die Genehmigung der Anordnung der Betreuerin, die Betroffene in einer geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bzw. einer Pflegeeinrichtung für zwei Jahre unterzubringen. Dies soll folgen „aus dem Ergebnis der gerichtlichen Ermittlungen, insbesondere aus dem aktuellen Gutachten des Sachverständigen vom 9. September 2022“. Nach dem Beschluss des Landgericht Stuttgart vom 30. Januar 2023 hält der Sachverständige in seinem Gutachten vom 9. September 2022 jedoch eine geschlossene Unterbringung „derzeit nicht für erforderlich“. Damit hat die Richterin hier eine Unterbringungsanordnung genehmigt, die nicht durch das von ihr eingeholte Sachverständigengutachten gedeckt ist. Das ist rechtlich sehr problematisch.

a) Problematik bei Entscheidungen, die sich nicht an die Empfehlungen des Sachverständigen halten

Wie bereits unter II 4 b ausführlich dargelegt, ist vor einer Entscheidung über die geschlossene Unterbringung eines Menschen eine förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme durchzuführen. Folgt der Richter der Einschätzung des Gutachters nicht, muss er nach einer Entscheidung des BGH vom 27. April 2016, XII ZB 557/15 seine abweichende Überzeugung begründen. „Die Begründung muss erkennen lassen, dass die Beurteilung nicht von einem Mangel an Sachkunde beeinflusst ist …, das Gericht sich mit der Aussage des Gutachters hinreichend auseinandergesetzt und seine dazu erforderliche Sachkunde ausreichend dargetan hat. Weil der Sachverständige gerade zu dem Zweck hinzugezogen wird, dem Gericht die ihm auf dem medizinischen Spezialgebiet fehlenden Kenntnisse zu vermitteln, muss das Gericht sorgfältig prüfen, ob es seine Zweifel an dem Gutachten ohne weitere sachkundige Hilfe zur Grundlage seiner Entscheidung machen kann, etwa weil es bereits durch die ihm vom Sachverständigen vermittelte sachliche Information dazu befähigt worden ist. Fehlt es hieran und verschließt sich das Gericht der Notwendigkeit, zur Klärung seiner Bedenken den Sachverständigen zu einer Ergänzung oder mündlichen Erläuterung seines Gutachtens zu veranlassen oder einen weiteren Sachverständigen zu beauftragen, so bewegt es sich bei seiner Überzeugungsbildung außerhalb des der tatrichterlichen Beweiswürdigung eingeräumten Bereichs“ (NJW-RR 2016, 834 Rn. 10, 11).

Eine geschlossene Unterbringung eines Menschen entgegen den Ausführungen eines Sachverständigen anzuordnen, ohne Einholung eines weiteren Sachverständigen, dürfte den Bereich der tatrichterlichen Beweiswürdigung deutlich überschreiten, zumal es sich hier um den nach deutschem Recht denkbar schwersten Eingriff in Grundrechte der Betroffenen handelt, nämlich um die Freiheitsentziehung.

Der BGH führt in seinem Beschluss vom 27. April 2016, XII ZB 557/15 darüber hinaus aus, „das Gericht hat die Pflicht, das Gutachten auf seine wissenschaftliche Begründung, seine innere Logik und seine Schlüssigkeit hin zu überprüfen. Die Aufgabe des Tatrichters, Gutachten sorgfältig und kritisch zu überprüfen, berechtigt ihn jedoch nicht, die sachverständigen Äußerungen ohne ausreichende Begründung beiseite zu schieben. Vielmehr muss das Gericht, wenn es einem Gutachten nicht folgen will, seine abweichende Überzeugung begründen.

Welche Überlegungen der Sachverständige angestellt hat, die dazu führten, dass er eine geschlossene Unterbringung für nicht notwendig erachtete, ergibt sich aus dem Beschluss nicht. Eine Auseinandersetzung mit dem Gutachten im Beschluss fehlt vollständig. Ebenso ist dem Beschluss nicht zu entnehmen, warum die erkennende Richterin sich über die Empfehlung des Sachverständigen hinwegsetzt. In dem Beschluss heißt es lediglich, dass sie „massiv verwahrlosen würde und ihre dringend notwendige ärztliche Versorgung auch der organischen Erkrankungen sowie eine regelmäßige Tabletteneinnahme nicht gewährleistet“ sei. Einzelheiten dazu, insbesondere woraus sich ergibt, dass die Betroffene ohne Unterbringung „massiv verwahrlosen“ würde und dass dies eine erhebliche Gesundheitsgefährdung für sie bedeutet, fehlen gänzlich. Auch fehlen Ausführungen zum Grund der nicht gewährleisteten Tabletteneinnahme. Sollte diese durch die Betroffene ohnehin abgelehnt werden, so nützt auch ein Verbringen in eine Pflegeeinrichtung nichts, da eine zwangsweise oder heimliche Verabreichung von Medikamenten in einer Pflegeeinrichtung nicht zulässig ist.

Zwar kann nach der Rechtsprechung des BGH „die Gefahr einer völligen Verwahrlosung des Betreuten die Unterbringung rechtfertigen, wenn damit eine Gesundheitsgefahr durch körperliche Verelendung und Unterversorgung verbunden ist“ (BGH, FamRZ 2010, 365 Rn. 14 m.w.N.). Die Unterbringung muss aber erforderlich sein. Dies ist schon nicht der Fall, „wenn die Gefahr durch andere Mittel als die freiheitsentziehende Unterbringung abgewendet werden kann“. Dies muss durch das Gericht hinreichend aufgeklärt und im Beschluss ausreichend begründet werden. Mit Beschluss vom 14. Dezember 2011 hatte der BGH (NJW-RR 2012, 385-386) einen Beschluss des LG Hamburg aufgehoben, soweit dieser die Beschwerde des Verfahrenspflegers gegen einen Beschluss des AG Hamburg-Wandsbek bezogen auf die Genehmigung der Unterbringung zurückgewiesen hatte. Die Vorentscheidungen enthielten keine Angaben, warum von alternativen Möglichkeiten, wie vom Sachverständigen in seinem Gutachten vorgeschlagen, nicht Gebrauch gemacht worden seien. Insoweit fehle es an einer hinreichenden Aufklärung, so dass die Entscheidung zur Unterbringung auf Verfahrensfehlern beruht habe.

b) Begründungsversuche für eine geschlossene Unterbringung in der Psychiatrie bzw. Pflegeeinrichtung

Dass sie „völlig in ihren Kompositionen gefangen und mit Musik beschäftigt“ sei, so dass mit ihr „kein sinnvolles Gespräch“ mehr geführt werden könne, ist kein Hinweis auf eine Verwahrlosung. Auch die Ausführungen zu den regelmäßig auftretenden Schwierigkeiten mit dem Pflegedienst begründen nicht, dass eine „massive“ Verwahrlosung zu einer erheblichen Gesundheitsgefährdung führt. So heißt es in dem Beschluss: „Alles was alltägliche Notwendigkeiten betrifft, ist ihr fremd und sie lehnt es ab, weil sie es für unwichtig erachtet. Mit dem Pflegedienst kommt sie nicht zurecht. Die Pflegedienstleiterin behilft sich derzeit so, dass sie ca. alle vier Wochen kündigt, dann verhält sich die Betroffene für einige Zeit anständig. D.h. sie schickt die Pflegekräfte nicht unverrichteter Dinge wieder weg, akzeptiert die Medikamentengabe und lässt Körperpflege zu und isst das für sie zubereitete russische Essen. Ohne diese wiederholten Kündigungen lässt sie sich nicht versorgen und schickt die Pflegerinnen wieder weg.“ Daraus folgt vielmehr, dass der Pflegedienst einen modus vivendi gefunden hat, mit dem die alltägliche Pflege und Versorgung gewährleistet werden kann.

In diesem Kontext überrascht im Übrigen das Wort „anständig”. Das Gericht lässt dabei offen, was es unter „anständigem” Verhalten versteht. Es verwendet hier einen Begriff, der dem gesellschaftlichen Wandel unterliegt und nicht zweifelsfrei definiert werden kann. Was vor 100 Jahren noch „unanständig” war, könnte heute als „anständig” durchgehen. Hierzu ließen sich sicherlich zahlreiche Beispiele nennen, denen entnommen werden kann, dass dieser Begriff Anschauungssache ist und gerade nicht dazu dienen kann, eine Zwangsmaßnahme dieses Ausmaßes zu begründen. Diese Begrifflichkeit offenbart eine gewisse Hilflosigkeit des erkennenden Gerichts, die massiven Grundrechtseingriffe „anständig” zu begründen.

Weiter heißt es im Beschluss: „Die Betroffene besucht, da sie krankheitsbedingt den Überblick verloren hat, verschiedene Ärzte, die ihr teils widersprechende Medikamente verschreiben.“ Daraus folgt, dass die Betroffene sogar noch selbständig Ärzte aufsucht und die Ärzte offenbar keinen Anlass sehen, eine weitere Person hinzuzuziehen. Das spricht weiter gegen die Annahme, dass eine gesundheitsgefährdende Verwahrlosung droht. Der Hinweis darauf, „dass die Beine der Betroffenen nicht nur sehr adipös sind, sondern sich dort heftige Ödeme zeigten, die dringend behandlungsbedürftig sind“, rechtfertigt sicher nicht eine geschlossene Unterbringung für einen Zeitraum von zwei Jahren.

Den oben dargestellten zwingenden Anforderungen nach BGH NJW-RR 2022, 1010, wonach eine Unterbringungsdauer von über einem Jahr nur unter besonderen Voraussetzungen, die eigens zu begründen sind, angeordnet werden darf, kommt der Beschluss nicht nach.

c) Problematik des Doppelbeschlusses: Unterbringung in der Psychiatrie bzw. Pflegeeinrichtung

Neben der Unterbringung der Betroffenen durch die Betreuerin „in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses“ wurde zugleich auch die Unterbringung „in einer geschlossenen Abteilung einer Pflegeeinrichtung“ beschlossen. Mit einem solchen Doppelbeschluss erhält die Betreuerin bis zum 5. Dezember 2024 freie Hand, die Betroffene nicht nur für zwei Jahre in einer beschützenden Pflegeeinrichtung unterzubringen, sondern auch jederzeit in die geschlossene Psychiatrie einzuweisen, ohne dass ein Gericht über diese Einweisung noch einmal entscheiden muss. Um mit den Worten der beschlussfassenden Richterin zu sprechen: Ist die Betroffene in den nächsten zwei Jahren nicht „anständig”, kann ihr jederzeit mit der Einweisung in die Psychiatrie gedroht werden. Bei entsprechenden Ausführungen der Betreuerin würde diese auch nicht ohne weiteres durch die zuständige Psychiatrie abgewiesen werden. Dies ist höchst problematisch.

3. Genehmigung einer Zwangsbehandlung nach § 1832 BGB durch den Beschluss vom 6. Dezember 2022 (hier Zwangsimpfung)

a) Keine festgestellte Risiko-Nutzen-Abwägung

Die Genehmigung der zwangsweisen COVID-19-Impfung ist materiell-rechtlich bereits nach § 1832 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 BGB unzulässig.

Nach dem derzeitigen wissenschaftlichen Kenntnisstand steht eine COVID-19-Impfung im Hinblick auf das Behandlungsziel einer Verhinderung schwerer COVID-19-Krankheitsverläufe und solche mit Todesfolge, auf die eingeschränkte Wirksamkeit der Impfung, auf die mit der Zeit nachlassenden Schutzwirkung der Impfung und auf die mit einer Impfung verbundenen Risiken und Nebenwirkungen außer Verhältnis zu dem zu erwartenden Nutzen, der einen zwangsweisen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit und die Patientenautonomie der Betroffenen rechtfertigen würde. Dementsprechend lässt der Beschluss auch jegliche nähere Erläuterung dazu vermissen. Vielmehr ist entsprechend der Tenorierung im Beschluss, wonach die Impffähigkeit erst durch eine internistische Untersuchung festgestellt werden soll, im Umkehrschluss davon auszugehen, dass die für die nach § 1832 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 BGB zu treffende Risiko-Nutzen-Abwägung erforderlichen Tatsachen zum Zeitpunkt der richterlichen Entscheidung überhaupt noch nicht feststanden. Dementsprechend ist der Beschluss in diesem Punkt auch nicht ansatzweise, geschweige denn wie erforderlich, ausreichend begründet.

Weder wurden der konkrete Nutzen einer Impfung für die Betroffene noch die mit einer Impfung für die Betroffene einhergehenden Risiken und Nebenwirkungen unter Berücksichtigung der individuellen Impffähigkeit der Betroffenen anhand eines Gutachtens durch einen primär auf dem Gebiet der Inneren Medizin tätigen Sachverständigen festgestellt. Eventuelle Unverträglichkeiten von Wirkstoffen der jeweiligen Impfung und Nebenwirkungen der Impfung wurden ebenso wenig geprüft wie ein bereits vorhandener natürlicher Immunschutz aufgrund einer Antikörperbildung infolge einer in der Vergangenheit durchlebten SARS-CoV-2-Infektion. Soweit aufgrund eines serologischen Antikörpertestes ein bestehender Immunschutz nachgewiesen wird, wären zuletzt Feststellungen zum Zeitpunkt der Immunabwehr erforderlich, um die medizinische Indikation für eine Impfung zum jetzigen Zeitpunkt bejahen zu können. Denn zwischen den jeweiligen Ereignissen (Infektion und Impfung) muss zur Erreichung einer hybriden Immunität auch nach den Empfehlungen des RKI (vgl. Epidemiologisches Bulletin 21/2022, S. 11) ein zeitlicher Mindestabstand bestehen. Die STIKO empfiehlt seit Dezember 2021, zwischen einer durchgemachten SARS-CoV-2-Infektion und einer nachfolgenden COVID-19-Impfung einen Abstand von mehr als 3 Monaten einzuhalten. Dies wäre u. U. mittels eines weiteren immunologischen Sachverständigengutachtens zu klären gewesen.

b) Keine festgestellte Gefahr eines erheblichen gesundheitlichen Schadens

Die im Einzelfall genehmigte Zwangsimpfung verstößt auch gegen § 1832 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB. Die Frage, welcher Schaden bzw. welche Gefährdung von der Betroffenen abgewendet werden soll, der über das allgemeine Lebensrisiko eines jeden Menschen, insbesondere aber auch über das allgemeine Lebensrisiko eines 85-jährigen Menschen, hinausgeht, bleibt in dem Beschluss völlig offen.

Solange jedenfalls keine allgemeine Impfpflicht oder eine besondere für Einweisungen in Krankenhäuser oder Pflegeeinrichtungen, besteht, ist eine derartige Zwangsimpfung rechtswidrig.

Es ist nicht ersichtlich, welche erheblichen drohenden gesundheitlichen Schäden im Januar 2023, nach dem Ende einer Pandemie und der inzwischen für die meisten Menschen verhältnismäßig milde verlaufenden Erkrankung mit der Omikron-Variante des Corona-Virus, durch eine Impfung mit einem nach wie vor noch experimentellen Impfstoff abgewendet werden sollen. Das Robert Koch-Institut schätzt die derzeitige Gefährdung durch COVID-19 für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland insgesamt nur noch als moderat ein und begründet dies unter anderem mit einer geringeren Krankheitsschwere der durch die aktuell in Deutschland vorherrschenden Omikron-Variante des Coronavirus SARS CoV-2 (www.rki.de – Risikobewertung zu COVID-19, aktualisiert am 2. Februar 2023).

Die konkrete für die Betroffene bestehende Gefahr wurde nicht durch vorherige serologische Antikörpertestung zur Bestimmung einer gegebenenfalls bereits vorhandenen natürlichen Immunität verifiziert. Sofern mittels eines Antikörpernachweises hinreichende Anhaltspunkte für eine ausreichende Immunität der Betroffenen bestehen, bleibt es ungeachtet der aktuellen Infektionslage fraglich, ob ein der Betroffenen drohender erheblicher Schaden noch bejaht werden kann.

Insbesondere da die Betroffene nicht in einem Alters- oder Pflegeheim, sondern allein wohnt, ist eine Zwangsimpfung überhaupt nicht notwendig. Ein mit dem regelmäßigen Kontakt zu wechselnden Pflegepersonen im Rahmen der ambulanten Pflege eventuell einhergehendes erhöhtes Infektionsrisiko ließe sich z. B. durch entsprechende Vereinbarung mit dem Pflegedienst zu einem einzusetzenden Stammpersonal minimieren, sodass andere Maßnahmen im Sinne des § 1832 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BGB vorrangig wären. Zu weniger belastenden Maßnahmen, die nach § 1832 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BGB zu prüfen sind, schweigt der Beschluss übrigens völlig.

c) Entgegenstehender mutmaßlicher Wille der Betroffenen

Weiterhin fehlt im Beschluss jedwede Auseinandersetzung mit einem nach § 1832 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BGB zu beachtenden Willen der Betroffenen. Dass sich die Betroffene bis Dezember 2022 nicht hat impfen lassen, spricht dafür, dass sie sich nicht impfen lassen will. Der Beschluss enthält schließlich auch keine Angaben zum Vorliegen einer Patientenverfügung, so dass fraglich ist, ob diese Voraussetzung als erfüllt angesehen werden kann, ebensowenig wie sich aus der Begründung ergibt, ob beim Fehlen einer Patientenverfügung nahe Angehörige oder sonstige Vertrauenspersonen im Sinne von § 1828 Abs. 2 BGB angehört worden wären.

d) Fehlende Darlegung der Überzeugungsversuche

Weiter ist dem Beschluss nicht zu entnehmen, ob die Voraussetzungen des § 1832 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BGB vorgelegen haben. Der Beschluss enthält keinerlei Angaben, aus denen sich ergibt, ob und inwieweit mit der Betroffenen Gespräche und insbesondere ärztliche Aufklärungsgespräche über den Sinn und die Notwendigkeit einer Impfung gegen COVID-19 bzw. den mit der Durchführung oder Nichtdurchführung der Impfung verbundenen Risiken geführt worden sind. Der Standardsatz: „Es wurde zuvor erfolglos versucht, die Betroffene von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen“ ersetzt in einem derart schwerwiegenden Grundrechtseingriff sicher nicht eine Auseinandersetzung mit möglicherweise stattgefundenen Überzeugungsversuchen. Da der Vater der Betroffenen als Arzt gearbeitet hat, liegt es nahe, dass bei der Betroffenen ein Grundverständnis für medizinische Maßnahmen vorhanden ist.

e) Unzureichende Bezeichnung des Impfstoffes

Unabhängig von der Frage , ob bereits der Wirkstoff und die Art und Dosierung im Tenor genannt werden müssen, zumindest in den Beschlussgründen hat eine Auseinandersetzung damit zu erfolgen. Der Beschluss verhält sich jedoch weder zum Arzneimittel noch zum Wirkstoff und dessen (Höchst-)Dosierung. Die hier genehmigte Zwangsbehandlung stellt die konkrete Behandlung in Form einer Impfung in das Ermessen des Arztes. Es ist nicht dargelegt, welcher Impfwirkstoff in welchen Mengen verwendet werden kann.

4. Konsequenzen

Da ein Verstoß gegen wesentliche materiell-rechtliche Vorgaben des § 1832 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1-5 BGB zu bejahen ist, ist der Beschluss der Genehmigung der Unterbringung zur Heilbehandlung sowie zur Genehmigung der Zwangsimpfung rechtswidrig und auf der bisher bekannten Tatsachenbasis aufzuheben.

Im Gang des Beschwerdeverfahrens ist zunächst das erkennende Gericht verpflichtet, eine Abhilfeentscheidung vorzunehmen. Insoweit steht dem Gericht der ersten Instanz dieselbe Prüfungsbefugnis zu wie dem Beschwerdegericht, da das Abhilfeverfahren bereits ein Teil des Beschwerdeverfahrens ist (BGH FamRZ 2017, 754 Rn. 13). Nach § 65 Abs. 3 FamFG hat das Gericht erster Instanz daher auch neue Tatsachen und Beweismittel im Prüfverfahren zu berücksichtigen und u. U. auch Beweis zu erheben. Erforderlich wäre insoweit die Einholung weiterer Sachverständigengutachten zur Feststellung der für eine Zwangsimpfung oben aufgeführten Tatsachen. Das Gericht hat dann – wenn es nach den getroffenen Ermittlungen – die Beschwerde für begründet hält, der Beschwerde zwingend abzuhelfen.

Doch selbst wenn das Gericht erster Instanz auf die Beschwerde keine Abhilfeentscheidung getroffen hat, ist das Beschwerdegericht nicht daran gehindert, über die Beschwerde zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 15. Februar 2017, XII ZB 462/16, zitiert nach juris), da eine ordnungsgemäße Abhilfeentscheidung keine Verfahrensvoraussetzung für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens vor dem Beschwerdegericht ist (BGH, Beschluss vom 17. Juni 2010, V ZB 13/10, zitiert nach juris, Rn. 11). Das Beschwerdegericht kann vielmehr alle erforderlichen Tatsachenfeststellungen selbst durchführen, da es in vollem Umfang an die Stelle des Erstgerichts tritt. § 68 Abs. 3 FamFG stellt dem Beschwerdegericht lediglich aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung Vereinfachungen zur Seite. Verfahrenshandlungen, die in erster Instanz unter Verletzung zwingender Vorschriften durchgeführt wurden, sind in zweiter Instanz regelgerecht erneut vorzunehmen. Hierzu wird insbesondere die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu den ungeklärten Fragen der Zwangsimpfung zählen.

Nach § 69 Satz 3 FamFG kann das Verfahren auf Antrag eines Beteiligten dann zurückverwiesen werden, wenn es an einem wesentlichen Mangel leidet und zur Entscheidung eine umfangreiche oder aufwändige Beweiserhebung notwendig wäre. Die Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen.

Der Beschluss des AG Stuttgart-Bad Cannstatt leidet an wesentlichen Verfahrensmängeln. Wie oben ausgeführt liegen sowohl Verstöße gegen die Amtsermittlungspflicht nach § 26 FamFG bei ungenügend aufgeklärtem Sachverhalt als auch gegen die Begründungspflicht nach § 38 Abs. 3 Satz 3 FamFG vor. Die Entscheidung über die Zurückverweisung liegt indes im Ermessen des Beschwerdegerichts. Ermessensgesichtspunkt dürfte hierbei insbesondere die Frage der Dringlichkeit der Entscheidung in der Sache sein und ob das Beschwerdegericht in der Lage ist, die von Amts wegen durchzuführende Beweisaufnahme ohne zeitliche Verzögerung selbständig durchzuführen, sodass ein Tatsacheninstanzverlust hingenommen werden kann.

Zuletzt ist anzumerken, dass sich die Genehmigung der Zwangsimpfung – die bis längstens 16. Januar 2023 erfolgt sein sollte – zwischenzeitlich durch Zeitablauf erledigt hat. Die Betroffene hat nunmehr die Möglichkeit, nach § 62 FamFG die Rechtswidrigkeit der Maßnahme feststellen zu lassen. Das nach § 62 Abs. 1 FamFG erforderliche berechtigte Interesse der Betroffenen daran liegt jedenfalls vor. Die gerichtliche Genehmigung der Einwilligung in eine Zwangsbehandlung bedeutet stets einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff im Sinne des § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG (BGH, Beschluss vom 30. September 2020, XII ZB 57/20, zitiert nach juris, Rn. 6).

Es sei angemerkt, dass abseits auch außerhalb des Beschwerdeverfahrens einem Richter, der durch falsche Anwendung von Verfahrensvorschriften einen elementaren Verstoß gegen die Rechtspflege begeht und sich damit in schwerwiegender Weise vom Gesetz entfernt, indem er betreuungsrechtliche Entscheidungen ohne Einhaltung der zwingend einzuhaltenden Verfahrensvorschriften trifft, strafrechtliche Konsequenzen drohen können (vgl. hierzu beispielhaft LG Wuppertal, Urteil vom 19. April 2018, 25 KLs 9/14, zitiert nach juris).

Die nicht eingeholten Gutachten zur Frage der Notwendigkeit der Zwangsimpfung und der Impffähigkeit der Betroffenen sowie das Hinwegsetzen über das eingeholte Gutachten ohne jedwede Begründung – geschweige denn der Darlegung überlegener eigener Sachkunde – stellen nach Auffassung der Autoren bereits für sich genommen einen elementaren Verstoß gegen die Rechtspflege dar, der einer gesonderten strafrechtlichen Beurteilung bedarf.

IV. Ausblick

Mit Wirkung vom 1. Januar 2023 ist das vom 4. Mai 2021 stammende Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts in Kraft getreten. Das Reformhauptziel aller Beteiligten (Bundestag, Bundesrat, angehörte Gremien der Parteien, Verbände und Experten) war, „mehr Rücksicht auf die Selbstbestimmung der Betroffenen“ zu nehmen. Mit der Reform sollte sichergestellt werden, dass die Wünsche der Betroffenen bei der Einrichtung einer Betreuung und im Laufe der Betreuung konsequent ermittelt und berücksichtigt werden. Konkret bedeutet dies, dass nach dem Willen des Reformgebers die „Wunschbefolgung“ dominiert und diese zum „Schutz des Betroffenen vor Missbrauch der Betreuung erst endet, wenn sein mutmaßlicher Wille nicht festzustellen ist und eine erhebliche Gefahr für ihn besteht“. Begründung: Es gelte für alle an rechtlichen Betreuungen Beteiligten der Vorrang eines den Betroffenen unterstützenden Handelns (BR-Drs. 564/20 vom 25. September 2020, S. 155, S. 398 ff.). Dieses Reformziel der Stärkung der Selbstbestimmung des Betreuten hat das Bundesverfassungsgericht in einem Nichtannahmebeschluss am 31. Mai 2021 (1 BvR 1211/21) bereits im „alten“ Betreuungsrecht gesehen: „Nach der gesetzgeberischen Ausgestaltung ist der Wille einer betreuten Person wegen ihres grundrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrechts für den Betreuer und die staatlichen Organe handlungsleitend. Die Ersetzung des Willens der Betreuten durch den Betreuer und das Betreuungsgericht kommt unter den Voraussetzungen des § 1904 BGB überhaupt nur subsidiär in Betracht, wenn ihr tatsächlicher oder mutmaßlicher Wille nicht festzustellen ist.“ Mit anderen Worten: Die „Gesetzesreform“ bringt nichts wesentlich Neues hervor und hilft den Betroffenen nicht weiter, wenn – wie das in diesem Artikel aufgezeigte Beispiel der Stuttgarter Entscheidung belegt – alle am Verfahren Beteiligten die gesetzlichen Vorgaben nicht beachten.

Nicht nur das Gericht lässt in seiner „Formularentscheidung“ grobe Fehler erkennen, sondern auch die handelnde Betreuerin und der Verfahrenspfleger haben sich über das Selbstbestimmungsrecht der Betreuten augenscheinlich wenig bis gar keine Gedanken gemacht. Wie konnte das geschehen?

Der konkrete Fall in Stuttgart lässt nicht ansatzweise erkennen, welche Vorstellungen die Betreuerin, die die zwangsweise Unterbringung und Impfung der Betroffenen verfügt und die Genehmigung beantragt hat, zu diesem Tun veranlasst haben. Jedenfalls kann davon ausgegangen werden, dass sie den wirklichen Willen der Betreuten erst gar nicht erforscht hat, sondern sich der Mehrheitsmeinung zu diesem Thema „gebeugt“ hat – möglicherweise auch in Sorge darüber, dass sie ihr Amt verlieren könnte. Wie sich später über den hinzugezogenen Rechtsanwalt der Betreuten herausstellte, war diese weder mit der Unterbringung noch mit einer Zwangsimpfung einverstanden. Selbst wenn die Betreuerin ernsthaft davon ausgegangen wäre, dass die Betroffene nicht mehr über die erforderliche Einwilligungsfähigkeit verfügte, wird nicht deutlich, weshalb die Zwangsimpfung im Jahr 2023 noch aus medizinischen Gründen angezeigt gewesen sein sollte und somit dem mutmaßlichen Willen der Betroffenen entsprochen haben sollte.

Aber auch der Verfahrenspfleger ist vorliegend nicht seiner ihm in derartigen Verfahren zugewiesenen Rolle nachgekommen. Der Verfahrenspfleger – so sieht es das Gesetz vor – hat die Betroffene zu begleiten, fachkundig zu beraten und deren Willen festzustellen und im Betreuungs- wie im Unterbringungsverfahren zur Geltung zu bringen. Es bleibt offen, weshalb er gegen den offenkundig rechtswidrig ergangenen Beschluss kein Rechtsmittel eingelegt hat. Durch die Beauftragung eines weiteren Rechtsanwalts, der in ihrem Namen Beschwerde eingelegt und um Aussetzung der sofortigen Wirksamkeit des Beschlusses ersucht hat, hat die Betroffene deutlich zum Ausdruck gebracht, diesen Beschluss nicht akzeptieren zu wollen.

Zu beachten ist auch hier, dass der Verfahrenspfleger vom Gericht bestellt wird und deshalb daran interessiert sein könnte, dieses Amt in „gefälliger“ Manier zu erfüllen. Wenn eine Betroffene sich – wie es im Beschluss formuliert worden war – nicht „anständig“ benimmt und in Folge gleich für zwei Jahre untergebracht wird, verleitet dies möglicherweise auch den vom Gericht bestellten Verfahrenspfleger zu angepasstem „gerichtskonformen“ Verhalten. Im Rahmen der Reform des Betreuungsrechts wurde § 317 FamFG zwar dahingehend ergänzt, dass nunmehr das Gericht verpflichtet ist, einen „geeigneten“ Verfahrenspfleger zu bestellen, d. h. der Gesetzgeber „betont die Pflicht des Gerichts, bei der Auswahl des Verfahrenspflegers darauf abzustellen, ob die ausgewählte Person die fachliche und persönliche Eignung besitzt, ihre gesetzlichen Aufgaben zu erfüllen“ (BT-Drs. 19/24445, S. 330). Dies ist natürlich ein stumpfes Schwert, zeigt aber zumindest, dass der Gesetzgeber bei der Reform auch hier liegende Probleme gesehen hat. Es solle eben nicht einfach „nur“ ein Rechtsanwalt als Verfahrenspfleger bestellt werden, sondern eine Person, die sich mit der Sache nicht nur rechtlich, sondern auch fachlich auseinandersetzen kann. Hierzu gehört dann auch der Mut, entsprechend Beschwerde einzulegen. Es wäre darüber hinaus beispielsweise im Rahmen der Reform auch zu überlegen gewesen, wie die Unabhängigkeit der Verfahrenspfleger hätte gestärkt werden können.

Die Akteure im Betreuungsverfahren haben die Macht und die kognitive Überlegenheit, über das zukünftige Leben des betroffenen Menschen zu entscheiden. Es obliegt den Akteuren, im Wissen der persönlichen und faktischen Grenzen einer guten Verständigung mit dem betroffenen Menschen so nah wie möglich zu kommen. Gesprächsführung ist eine Haltung, die durch Akzeptanz, Einfühlung und Ehrlichkeit gekennzeichnet ist. Sie respektiert das Prinzip der Selbstbestimmung. Die Betreuung unterstützt den betroffenen Menschen bei fehlender oder eingeschränkter rechtlicher Handlungsfähigkeit“ (zitiert aus Thor, Gesprächsführung mit verwirrten Menschen im Betreuungsverfahren, FPR 2012, 41). Das, was Thor in seinem Artikel als „Ideal“ bezeichnet, findet sich in der Realität leider sehr selten. Thor weist zu Recht darauf hin, dass die Rahmenbedingungen für Richter, Rechtspfleger (Pensen) und Betreuer (Vergütung) diesem Ideal oftmals entgegenstehen. Statt der notwendigen Ruhe stünden die Gespräche unter dem Druck in kurzer Zeit zu einem greifbaren Ergebnis kommen zu müssen. Die geforderte Qualität des Gesprächs lässt sich in der Regel nur auf der Grundlage von Vertrauen erreichen. Im Rahmen von Kurzkontakten wie in einer Anhörung oder einer gutachterlichen Untersuchung sei diese Voraussetzung kaum gegeben.

Was Thor 2012 anspricht, hat sich auch zehn Jahre später nicht verändert. So lautet das Fazit hinsichtlich der „Reform des Betreuungsrechts“ bei Grziwotz (Struktureller Wandel im Betreuungsrecht, ZRP 2020, 248): „Das geplante neue Betreuungsrecht stellt wegen Art. 12 II UN-BRK die Wünsche des Betreuten in den Vordergrund. Teilweise handelt es sich dabei aber lediglich um eine sprachliche Gesetzgebungskosmetik.“ Auch Dodegge beschäftigt sich mit der Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts 2021 und weist darauf hin, dass zukünftig „der Vorrang der Wünsche des Betreuten als zentraler Maßstab des Betreuungsrechts“ gelte. Konterkariert – so Dodegge – werde der gesetzgeberische Wille durch die zum 1. Januar 2021 erfolgte abermalige [Erhöhung] der richterlichen Pensen im Betreuungsgericht (vgl. dazu Dogegge, Die Entwicklung des Betreuungsrechts bis Juli 2021, in: NJW 2021, 2695).

Es steht daher zu befürchten, dass es auch künftig im Betreuungsrecht Entscheidungen der „Stuttgarter Art“ geben wird, da nicht nur die richterlichen Pensen gnadenlos erhöht werden, sondern auch die zunehmende Digitalisierung und damit einhergehende Nutzung von nicht dem Einzelfall gerecht werdenden Formularen zu einem eher oberflächlichen Arbeiten verleitet.

5 Kommentare

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    • Kristin A. aus F. auf 21. Februar 2023 bei 17:15
    • Antworten

    Vielen Dank für die ausführliche und kompetente Auseinandersetzung. Da ich in der Branche arbeite, haben sich bei mir in den letzten 2,5 C-Jahren oft die Haare aufgestellt. Sei es, wie über 70jährige reihenweise wie die Lämmer zur Impfung geführt wurden. Sei es, dass Betreuer eine, diese Impfung für eine betreute Person im Einverständnis als nicht notwendig ansahen und fast ihren Job verloren. Sei es, dass Richter die Geeignetheit von diesen Betreuern überprüfen ließen. Hahnebüchen. Sei es, dass manche dieser über 70jährigen bzw. eher die über 85jährigen, äußerten, hatten wir schon mal, brauchen wir nicht nochmal.
    Den freien Willen der Betroffenen zu eruieren und zu unterstützen ist mein Ziel in meiner Arbeitswelt mit den Paragraphen.

    • M.K.B auf 17. Februar 2023 bei 12:54
    • Antworten

    Den Fall habe ich bei Telegramm gelesen und correctiv hat das noch mal aufgearbeitet. Ich mit meinen Abschluss der Hauptschule stehe vor einen Rätsel , bin auch Betreuer von meinen Sohn. Es lässt sich alles schön lesen oben , aber die Realität war und ist weiterhin eine andere . Ich lebe immer noch in der Matrix. Hoffe das eines Tages alles aufgearbeitet wird .

    • Nanna B. auf 14. Februar 2023 bei 12:59
    • Antworten

    Ein gelungener Aufsatz! Ein Lehrstück für angehende und bereits tätige Betreuungsrichter erster und zweiter Instanz. Bravo!
    Bitte bei juris/beck einreichen! Ich kann mir gut vorstellen, dass er angenommen wird.

  1. Gott sei Dank gibt es noch Anwälte und Richter mit Moral, Herz und Verstand in Deutschland! Das gibt mir Hoffnung, übrigens, die Welt schaut zu.
    Herzliche Grüße
    Katharina ( Katia ) Meier MD
    Ärztin in den USA, Colorado

    • 1 Rechtsanwalt unter 23.500 in München auf 12. Februar 2023 bei 16:51
    • Antworten

    Vielen Dank für diese Entscheidungsbesprechung, denn so etwas wird in dem C.H.Beck Monopolistischen Fachverlag respektive durch seine etwas einseitig aufgestellten Schriftleitungs-Redaktionen wahrscheinlich auch nicht veröffentlicht. Ich wünsche es Ihnen trotzdem. Pflichtlektüre für angehende Juristen, die eines Tages über uns entscheiden sollen, soweit wir uns dieser Generation respektive einer deutschen Justiz überhaupt anzuvertrauen gedenken. Was das Strafrecht respektive die rechtliche Wahrung gebotener Rechtsgrundsätze nach der Europäischen Menschenrechtsordnung angeht, habe ich seit mehreren Jahren schon sehr, sehr viele Zweifel. Ansonsten wäre die Website nicht so dringend geboten. Und gelesen würde sie überwiegend von Fachinteressierten und nicht von Personen, die ihr Arbeitsfeld in der Sprachüberwachung des Deutschlands von 2020 ff. sehen.

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