KRiStA – Netzwerk Kritische Richter und Staatsanwälte n.e.V.

Schadensersatz für Corona-Impfschäden (1. Teil)

Verfassungswidrige Haftungseinschränkung

Manfred Kölsch & Laura Kölsch

I.

Die Meldungen über eingetretene gesundheitliche Schäden nach Verabreichung von Impfstoffen gegen Covid-19 sind nicht mehr zu überhören. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) titelte am 31.10.2022: „Verdreifachung der Corona-Impfschäden.“1FAZ Ausgabe Nr. 253/44 D1 vom 31.10.2022: „Verdreifachung der Corona-Impfschäden“. Online ein ähnlicher Bericht vom 30.10.2022.

Diese Entwicklung gibt Anlass, darüber nachzudenken, gegen wen, aufgrund welcher gesetzlichen Regelungen, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang für diese Impfschäden Schadensersatz verlangt werden kann.

Als Anspruchsgegner solcher Schadensersatzansprüche kommen in Frage die pharmazeutischen Unternehmer, die Hersteller, Angehörige von Gesundheitsberufen und der Staat.

II.

Als erste Anspruchsgrundlage für den Ersatz von Impfschäden bietet sich § 84 Arzneimittelgesetz (AMG) an.

Dieser Gefährdungshaftung unterliegen pharmazeutische Unternehmer, Hersteller und Angehörige von Gesundheitsberufen, wenn sie ein Arzneimittel (wozu auch Impfstoffe zählen, § 4 Abs. 4 i. V. m. § 2 AMG) in den Verkehr gebracht bzw. am Verbraucher angewendet haben. Nach § 84 Abs. 2 S. 1 AMG wird eine Kausalität zwischen der Anwendung des Impfstoffes und einem eingetretenen Schaden vermutet, wenn der Impfstoff „nach den Gegebenheiten des Einzelfalls geeignet ist, den Schaden zu verursachen.“ Die Beweislast für das Gegenteil des gesetzlich Vermuteten liegt bei den Anspruchsgegnern.2Zur Vereinbarkeit dieser Vermutungsregelung mit EU-Recht vgl. Teil 2.

Diese auf den ersten Blick im Sinne des Gesundheits- und Verbraucherschutzes großzügige, ohne Verschulden begründete Haftung wäre besonders im Hinblick auf die nur bedingt zugelassenen Corona-Impfstoffe naheliegend, da bei ihnen die Prüfungsdichte der vorzulegenden sicherheitsbezogenen Daten abgesenkt ist. Diesbezügliche Bedenken in der Bevölkerung bildet eine FORSA-Umfrage von Oktober 2021 ab. Als Gründe dafür, sich nicht impfen zu lassen, werden darin angegeben: keine ausreichende Erprobung der Impfstoffe, Angst vor Nebenwirkungen, Zweifel an der Sicherheit und Ungefährlichkeit, Angst vor Impfschäden, Langzeitfolgen, Todesangst und Haftungslücken für mögliche Schadensfolgen.

Doch die Ausgestaltung des Rechtsrahmens ist gegenläufig. Mit der Einführung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite im Mai 2020 erhielt das Infektionsschutzgesetz (IfSG) eine umstrittene Ermächtigung (§ 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 4a IfSG) für den Bundesgesundheitsminister, wonach er für die Dauer der epidemischen Lage von nationaler Tragweite ohne Zustimmung des Bundesrates Ausnahmen und Abweichungen vom AMG und weiteren Gesetzen zulassen kann. Auf dieser Grundlage hat Jens Spahn im Mai 2020 die Verordnung zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Produkten des medizinischen Bedarfs bei der durch das Coronavirus SARS-CoV-2 verursachten Epidemie“ (MedBVSV) erlassen und dabei tragende, dem Verbraucherschutz und der Arzneimittelsicherheit dienende Bestimmungen des AMG für unanwendbar erklärt.

So sind die herkömmlichen Vertriebswege für Arzneimittel wie die Corona-Impfstoffe zugunsten einer zentralen Beschaffung, Lagerung, Herstellung und Inverkehrbringung durch Bundesbehörden bzw. dessen Beauftragten außer Kraft gesetzt (§§ 43, 47 AMG i. V. m. § 3 Abs. 1 MedBVSV).

Ebenfalls keine Geltung mehr hat die Vorgabe zur staatlichen Chargenprüfung, wonach das Paul-Ehrlich-Institut Impfstoffchargen nur für das Inverkehrbringen freigeben darf, wenn die Charge „nach Herstellungs- und Kontrollmethoden, die dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprechen, hergestellt und geprüft worden ist und (…) sie die erforderliche Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit aufweist“ (§ 32 Abs. 1 AMG i. V. m. § 3 Abs. 1 MedBVSV).

Weitere Ausnahmen gibt es etwa beim Verfallsdatum der Impfstoffe, der Kennzeichnung, Packungsbeilage und Fachinformation (§ 8 Abs. 3, §§ 10 – 11a AMG i. V. m. § 3 Abs. 1 MedBVSV).

Die Verpflichtung der pharmazeutischen Unternehmer zum Nachweis einer sog. Deckungsvorsorge für potentielle Schadensersatzforderungen entfällt (§ 94 AMG i. V. m. § 3 Abs. 1 MedBVSV).

Und schließlich heißt es in § 3 Abs. 4 MedBVSV für die bereits erwähnte Gefährdungshaftung: „Abweichend von § 84 AMG unterliegen pharmazeutische Unternehmer, Hersteller und Angehörige von Gesundheitsberufen hinsichtlich der Auswirkungen der Anwendung der in § 1 Abs. 2 genannten Produkte (z. B. Impfstoffe, Anm. d. Verf.) nicht der Haftung, wenn diese Produkte durch das Bundesministerium als Reaktion auf die vermutete oder bestätigte Verbreitung des SARS-CoV-2-Erregers in den Verkehr gebracht werden.“ Außerdem wurde die Haftung von pharmazeutischen Unternehmern, Herstellern und Angehörigen von Gesundheitsberufen für Folgen, verursacht aus den § 3 Abs. 1 MedBVSV normierten Ausnahmen, begrenzt auf grobe Fahrlässigkeit und Vorsatz.

III.

Die Geltungsdauer der MedBVSV war zunächst gekoppelt an die Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite (§ 5 Abs. 4 S. 1 IfSG). Beschließt der Bundestag das Ende der epidemischen Lage, war zeitgleich das Außerkrafttreten der MedBVSV vorgesehen (§ 5 Abs. 4 S. 1 IfSG).

Der Bundestag hat am 18.11.2021 mit Wirkung zum 25.11.2021 die „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ entgegen eines Regierungsantrags nicht verlängert.

Dennoch wird die MedBVSV bis heute angewendet. In den folgenden IfSG-Novellen wurde § 5 Abs. 4 IfSG fortlaufend ergänzt um verlängerte Geltungsfristen. Erst bis zum 31.05.2022, dann bis zum 25.11.2022 und zuletzt bis zum 31.12.2023 durch das „Gesetz zur Stärkung des Schutzes der Bevölkerung und insbesondere vulnerabler Personengruppen vor COVID-19“ vom 16.09.2022.3Vgl. Bundesgesetzblatt I 2022, S. 1454, Art. 1; S. 1471, Art. 8b.

IV.

Bei der Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen des § 84 AMG kann nach alledem die MedBVSV nicht unbeachtet bleiben. Doch löst die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für ihren Erlass – § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 4a IfSG – verfassungsrechtliche Bedenken aus, da sie nicht den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots des Art. 80 Abs. 1 S. 2 Grundgesetz (GG) entspricht.

1.

In Art. 80 Abs. 1 GG ist bestimmt: Durch Gesetz können die Bundesregierung, ein Bundesminister oder die Landesregierungen ermächtigt werden, Rechtsverordnungen zu erlassen. Dabei müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz bestimmt werden.“

Hierbei handelt es sich nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) um die „bereichsspezifische Konkretisierung des Rechtsstaats-, Gewaltenteilungs- und Demokratieprinzips“.4BVerfGE 150, S. 1 ff., Rz. 199. Wesentliche Entscheidungen muss der Gesetzgeber selbst treffen.5A. a. O. Rz. 191. Der schleichenden Veränderung des Verfassungssystems durch Abgabe der Rechtssetzungsmacht an die Exekutive werden durch die Anforderungen des Bestimmtheitsgebots an die Ermächtigungsnorm Grenzen gesetzt.

Das BVerfG hat dazu konkretisierend ausgeführt, der Gesetzgeber habe selbst zu entscheiden, welche Probleme durch die Rechtsverordnungen der Exekutive geregelt werden und welchem Zweck sie dienen sollen (sog. Selbstentscheidungsvorbehalt).6A. a. O. Rz. 202. Auch hat der Gesetzgeber der ermächtigten Stelle ein Programm an die Hand zu geben, aus dem sich ergibt, welchem Ziel die Ermächtigung dienen soll (sog. Programmsetzungspflicht). Schließlich soll bereits aufgrund der Ermächtigung vorhersehbar sein, in welchen Fällen und mit welcher Tendenz von ihr Gebrauch gemacht werden wird und welchen Inhalt die aufgrund der Ermächtigung erlassenen Verordnungen haben können, so dass sich die Normunterworfenen mit ihrem Verhalten darauf einstellen können (sog. Vorhersehbarkeitsgebot).7A. a. O. Rz. 202.

2.

Selbst der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hatte schon im April 2020 Zweifel an der Verfassungsgemäßheit der Ermächtigung in § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 4a IfSG.8Ausarbeitung, S. 6. Zwar bestünden laut BVerfG keine generellen Bedenken gegen die Verwendung dieser gesetzgebungstechnischen Form der Anwendungsbeschränkung von Gesetzen. Und die Ausnahmen seien vorliegend zumindest programmatisch gefasst, da sie für die Dauer der epidemischen Lage von nationaler Tragweite zur „Sicherstellung der Versorgung mit Arzneimitteln einschließlich Impfstoffen“ thematisch eingegrenzt seien auf die „Herstellung, Kennzeichnung, Zulassung, klinische Prüfung, Anwendung, Verschreibung und Abgabe, Ein- und Ausfuhr, das Verbringen und die Haftung, sowie (…) Betrieb von Apotheken einschließlich Leitung und Personaleinsatz“. Allerdings hält es der Wissenschaftliche Dienst für fraglich, ob die vom BVerfG geforderten eindeutigen Grenzen für solche anwendungsbeschränkende Verordnungen vorliegend gewahrt wurden und die Vorschrift ausreichend erkennbar und vorhersehbar ist.

Erkennbarkeit und Vorhersehbarkeit sind in § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 4a IfSG zweifelsohne nicht ausreichend berücksichtigt. Die Vorschrift erlaubt Ausnahmen von einer unüberschaubaren Zahl an gesetzlichen Vorschriften aus insgesamt fünf Gesetzen. Schon die mehr als 100 Vorschriften des AMG – die in ihrer Mehrheit wesentliche Bedeutung haben für den der Arzneimittelsicherheit zugrundeliegenden, grundgesetzlich garantierten Lebens- und Gesundheitsschutz (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) – berühren die Themen Herstellung, Kennzeichnung, Zulassung, Haftung etc. Eine ausreichende programmatische Eingrenzung der Exekutive und eine Vorhersehbarkeit für den Normadressaten sind damit nicht gegeben. Der Gesetzgeber hat dem Bundesgesundheitsminister in wesentlichen Fragen der Arzneimittelsicherheit eine Blankovollmacht erteilt und damit gegen das Bestimmtheitsgebot des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG verstoßen. Die MedBVSV ist seit ihrem Erlass im Frühjahr 2020 mangels verfassungsgemäßer Ermächtigungsgrundlage nichtig. Die Einschränkung der Gefährdungshaftung nach § 84 AMG ist damit von Anfang an unwirksam.

V.

Daran hat sich auch nichts geändert durch die Verlängerung der MedBVSV-Geltungsdauer durch den Bundestag, denn auch diese ist verfassungswidrig. Derzeit bestimmt § 5 Abs. 4 S. 2 Nr. 4 IfSG, dass Rechtsverordnungen wie die MedBVSV, die auf der Grundlage der – verfassungswidrigen – Ermächtigung des § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 IfSG erlassen wurden, bis zum 31.12.2023 in Kraft bleiben. § 10 MedBVSV wiederholt das Datum konkret für die MedBVSV.

Damit befinden wir uns in einer merkwürdigen Lage. Durch Parlamentsgesetz hat der Bundestag zum wiederholten Male die Geltungsdauer für alle aufgrund § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 4a IfSG erlassenen Rechtsverordnungen über die epidemische Lage von nationaler Tragweite hinaus bis zum 31.12.2023 verlängert (§ 5 Abs. 4 S. 2 Nr. 4 IfSG).9Durch Art. 1 des Gesetzes zur Stärkung des Schutzes der Bevölkerung und insbesondere vulnerabler Personengruppen vor COVID-19 (Bundesgesetzblatt I 2022, S. 1454). Und er hat ebenfalls per Parlamentsentscheidung konkret die Geltungsdauer der MedBVSV bis zum 31.12.2023 verlängert.10Durch Art. 8b des Gesetzes zur Stärkung des Schutzes der Bevölkerung und insbesondere vulnerabler Personengruppen vor COVID-19 (Bundesgesetzblatt I 2022, S. 1454 (1471)). Da die Ermächtigung des Bundesgesundheitsministers zum Erlass von Rechtsverordnungen im November 2021 mit dem Ende der epidemischen Lage endete, wurde die Geltungsdauer per Parlamentsgesetz verlängert.

Kann die Nichtigkeit einer gegen das Bestimmtheitsgebot verstoßenden Rechtsverordnung durch anschließende parlamentarische Zueigenmachung und Verlängerung geheilt werden? Zutreffend ist dies sicher für den Selbstentscheidungsvorbehalt (s. o.). Am programmatischen Bestimmbarkeitsmangel sowie an der fehlenden Vorhersehbarkeit hat sich durch die parlamentarische Absegnung allerdings nichts geändert. Außerdem ist die der MedBVSV zugrundeliegende epidemische Lage von nationaler Tragweite aufgehoben.

1.

Die Verlängerung der Geltungsdauer der MedBVSV muss sich als Parlamentsgesetz an der verfassungsmäßigen Ordnung messen lassen (Art. 20 Abs. 3 GG). Insbesondere darf kein ungerechtfertigter Eingriff in Grundrechte vorliegen, die staatliche Maßnahme muss verhältnismäßig, d. h. geeignet, erforderlich und angemessen sein.

Bei den in der MedBVSV normierten Ausnahmen vom AMG handelt es sich zweifelsohne um Eingriffe in den Schutzbereich des Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG) von Impfgeschädigten. Aus diesem Grund nennt das AMG als eine seiner zentralen Zweckbestimmungen die Sorge um die Unbedenklichkeit von Arzneimitteln (§ 1 AMG).

Die Geltungsdauerverlängerung der MedBVSV ist unverhältnismäßig, da ungeeignet.

Geeignet ist eine staatliche Maßnahme, wenn sie einen im öffentlichen Interesse liegenden Zweck zumindest fördert. Legitime Zwecke sind dabei grundsätzlich allenfalls öffentliche Interessen.

Die Suche nach einem solchen Zweck zur fortgesetzten Einschränkung der AMG-Schutzvorschriften gestaltet sich schwierig. Der Gesetzeswortlaut der Verlängerungsvorschriften gibt keinerlei Auskunft. Auch der Regelungszusammenhang mit der epidemischen Lage von nationaler Tragweite (§ 5 Abs. 2 IfSG) lässt keine Erkenntnisse über den Zweck der Verlängerung zu, da die epidemische Lage aufgehoben ist.

Bleibt noch § 1 MedBVSV (i. V. m. dem allgemeinen Zweck des § 1 IfSG, Infektionskrankheiten beim Menschen vorzubeugen und deren Weiterverbreitung zu verhindern), der als Verordnungszweck nennt „die Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln während der durch das Coronavirus SARS-CoV-2 verursachten Epidemie.“11Bis November 2021 war die epidemische Lage von nationaler Tragweite im Verordnungszweck genannt. Seitdem nennt der Zweck nur noch die „durch SARS-CoV-2 verursachte Epidemie“.

Der vom Gesetzgeber anvisierte Zweck könnte also sein, dass es der Ausnahmen vom AMG bedarf zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Impfstoffen als Schutz vor Covid-19. Zwar ist mittlerweile wissenschaftlich belegt, dass dieser Zweck durch diese Impfungen unerreichbar ist, da sie eine Virusverbreitung nicht verhindern. Das braucht hier aber nicht weiter vertieft zu werden. Denn ausreichend ist es zu klären, ob es im Zeitpunkt der letzten Verlängerung der MedBVSV im September 2022 der Ausnahmen vom AMG (Verzicht auf Chargenprüfung, Deckungsvorsorge, Gefährdungshaftung, Kennzeichnung etc.) bedurfte, um genug Impfstoff zur Verfügung zu stellen. Das impliziert, dass es ohne die AMG-Ausnahmen zu Produktions- und Lieferengpässen kommen würde und die Abstriche im Bereich der Arzneimittelsicherheit notwendig sind, um den drängenden und großen Bedarf an Impfstoffen für die Bevölkerung zu gewährleisten.

Dem ist nicht so. Nach den eigenen Angaben des BMG sieht die Impfstoffversorgung wie folgt aus:

„Soweit Impfstoffe nicht für die nationale Kampagne benötigt werden, werden sie COVAX12„COVID-19 Vaccines Global Access – COVAX“: weltweiter Verteilungsmechanismus für Covid-Impfstoffe, angeführt u. a. von der WHO. angeboten. 2021 wurden rund 95 Millionen Impfstoffdosen aller Hersteller an COVAX übertragen. Zusätzlich hat die Bundesregierung rund 7,7 Millionen Dosen bilateral an 6 Länder gespendet. Insgesamt wurden somit über 100 Millionen Dosen gespendet. Im Jahr 2022 sollen weitere 75 Millionen Impfstoffdosen gespendet werden.“

2.

Der wirkliche Zweck für die Verlängerung der Ausnahmen vom AMG durch die MedBVSV wird erst deutlich durch das genaue Studium der Gesetzesmaterialien zum „Gesetz zur Stärkung des Schutzes der Bevölkerung und insbesondere vulnerabler Personengruppen vor COVID-19“ vom 16.09.2022, über das der Bundestag in einer „Sturzgeburt“ entschieden hat.

Am 06.09.2022 hatte der Bundestagsausschuss für Gesundheit eine Beschlussempfehlung auf der Grundlage eines Regierungsentwurfs für den Bundestag erstellt und hierin erstmals die Verlängerung der MedBVSV in das Gesetzgebungsverfahren aufgenommen.13Vgl. Bundestags-Drucksache 20/3312, S. 8 f.; 61.

Am 07.09.2022 hat dieser Ausschuss seinen Bericht zur Begründung für seine Beschlussempfehlung vom 06.09.2022 nachgeliefert.

Am 08.09.2022 hat der Bundestag in 2. und 3. Lesung über den Gesetzesentwurf in der Fassung der Beschlussempfehlung des Gesundheitsausschusses beraten und sie angenommen. Aus dem Beratungsprotokoll ist keine inhaltliche Auseinandersetzung mit den die MedBVSV betreffenden Gesetzesänderungen ersichtlich.14Ein Antrag auf sofortige Außerkraftsetzung der MedBVSV durch die AfD-Fraktion wurde zur Beratung in den Gesundheitsausschuss verwiesen. Letzter hat am 10.11.2022 seine Beschlussempfehlung veröffentlicht, der Bundestag möge den Antrag ablehnen.. Die Entscheidung erfolgte praktisch „blind“ ohne Abwägung des Für und Widers in einer Debatte.

Allein der 44-seitige Bericht des Gesundheitsausschusses enthält eine Begründung für die Verlängerung der MedBVSV. Dort wird der eigentliche Zweck der Verlängerung der Geltungsdauer, über das Ende der epidemischen Lage von nationaler Tragweite hinaus, wie folgt benannt: „Ferner bleiben Regelungen zur Versorgung mit Arzneimitteln und anderem medizinischen Bedarf bis spätestens 31. Dezember 2023 in Kraft; Änderungen an den Regelungen dürfen jedoch nicht mehr vorgenommen werden. Dies betrifft die Medizinischer Bedarf Versorgungssicherstellungsverordnung, auf deren Grundlage das Bundesministerium für Gesundheit COVID-19-Impfstoffen und Arzneimittel zentral beschafft und in Verkehr bringt. Die Beschaffungsverträge für Impfstoffe gegen COVID-19 laufen noch bis mindestens Ende 2023, weswegen die Beschaffung und Verteilung der Impfstoffe auf Grundlage der Medizinischer Bedarf Versorgungssicherstellungsverordnung für diesen Zeitraum erforderlich ist“15Bundestags-Drucksache 20/3328, S. 11 f. (Hervorhebung hinzugefügt).

Die MedBVSV-Verlängerung ist demnach notwendig zur Erfüllung der vertraglichen Abnahmeverpflichtungen bis mindestens Ende 2023 gegenüber den Impfstoffherstellern.

Die Bundesregierung hat darüber hinaus beschlossen, Verträge zur Bereitstellung von Corona-Impfstoffen für die kommenden Jahre bis 2029 abzuschließen, was mit einer Verlängerung der MedBVSV bis weit über Ende 2023 einhergehen könnte.

Da – wie für den Gesetzgeber im September 2022 erkennbar – die Impfstoffe weder die Verbreitung von Coronaviren verhindern noch eine Knappheit an verfügbaren Impfstoffen vorliegt, ist die Verlängerung der MedBVSV nicht im öffentlichen Interesse. Im Gegenteil, die Nichtanwendbarkeit etwa der staatlichen Chargenprüfung, der Gefährdungshaftung oder die Außervollzugsetzung der Vorsorgeverpflichtung der Impfstoffhersteller zur Entschädigung eintretender Impfschäden stehen im Widerspruch zu den öffentlichen Interessen der Arzneimittelsicherheit und der Wiedergutmachung erlittener Impfschäden.

Der genannte Zweck, die Verpflichtungen aus den Impfstoffbeschaffungsverträgen zu bedienen, liegt vielmehr allein im privaten Interesse der Hersteller. Die in der MedBVSV normierten Ausnahmen vom AMG erleichtern ihnen die risikolose Gewinnmaximierung, vor der der Schutz der Bevölkerung zurückzutreten hat. Zur Illustration: Während Deutschland bislang viele Milliarden Euro Steuergelder für die Impfkampagne ausgegeben hat,16Pharmazeutische Zeitung am 24.01.2022; Frankfurter Allgemeine Zeitung am 03.07.2022. geht Pfizer für dieses Jahr von einem Corona-Impfstoffumsatz zwischen 99,5 bis 102 Milliarden Dollar aus. Für die ersten neun Monate waren es bereits 76 Milliarden Dollar.

Die Entscheidung des Gesetzgebers, die MedBVSV zu verlängern, ist eine Teilaufrechterhaltung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite durch die Hintertür zulasten der Bevölkerung und zugunsten der Impfstoffhersteller und damit mangels öffentlichen Interesses und Geeignetheit der Maßnahme verfassungswidrig.

VI.

Zusammenfassend ist festzustellen: Die Außervollzugsetzung des § 84 AMG durch § 3 der MedBVSV ist verfassungswidrig und damit nichtig. § 84 AMG gilt uneingeschränkt als Anspruchsgrundlage für den Schadensersatz für eingetretene Impfschäden.

In einem Folgebeitrag kann, wie eingangs angekündigt, im Zusammenhang geprüft werden, gegen wen, unter welchen Voraussetzungen welcher gesetzlichen Regelungen und in welchem Umfang für Impfschäden Schadensersatz verlangt werden kann.

Endnoten