Das Ministerium für Soziales, Gesundheit und Integration Baden-Württemberg ließ am 2. September 2021 auf seiner Homepage verlautbaren, dass nicht gegen SARS-CoV-2 geimpfte Personen im Falle der Absonderung als nahe Angehörige oder Kontaktpersonen von Infizierten für den Zeitraum der Absonderung (Quarantäne) nach dem 15. September 2021 nicht mehr mit Entschädigungszahlungen nach § 56 IfSG rechnen dürfen. Das Ministerium beruft sich darauf, die Regelungen des Infektionsschutzgesetzes hiermit umzusetzen. Es steht deshalb anzunehmen, dass auch andere Bundesländer diesem Beispiel folgen werden. Das veranlasst KRiStA zu folgender Stellungnahme.
Das baden-württembergische Sozialministerium beruft sich ersichtlich auf die Regelung in § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG, wonach eine Entschädigung nicht erhält, wer durch die Inanspruchnahme einer Schutzimpfung [….] oder durch Nichtantritt einer vermeidbaren Reise in ein bereits zum Zeitpunkt der Abreise eingestuftes Risikogebiet ein Verbot in der Ausübung seiner bisherigen Tätigkeit oder eine Absonderung hätte vermeiden können. Die Absonderungsverpflichtungen für nahe Angehörige oder Kontaktpersonen betreffen jedoch nahezu ausschließlich ungeimpfte Personen. Denn Geimpfte sind gem. § 10 Abs. 1 COVID-19-SchutzmaßnahmenausnahmeV von der Absonderungspflicht ausgenommen. Selbiges gilt gem. § 4 Abs. 1 CoronaeinreiseV für die Absonderungspflicht von Urlaubern bei Einreise nach Deutschland[1].
Knüpft aber die Vorenthaltung der Entschädigung allein am gesetzgeberischen Trick an, Geimpfte von der Absonderungspflicht auszunehmen, rückt selbstverständlich die Frage in den Vordergrund, ob diese Besserstellung Geimpfter in den genannten Ausnahmeregelungen gerechtfertigt ist. Das wäre es nur, wenn Geimpfte erheblich weniger ansteckend wären, als Ungeimpfte. Das ist nicht der Fall[2]. Es bestehen daher erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser Ausnahmeregelungen.
Völlig übersehen wird bei der Einschätzung des baden-württembergischen Sozialministeriums zudem, dass jedenfalls bei abhängig beschäftigten Arbeitnehmern die Regelung der Entgeltfortzahlung des § 616 BGB vorrangig ist. Dieser Anspruch besteht unabhängig davon, ob sich die Arbeitgeber den Auszahlungsbetrag über die Entschädigung wieder erstatten lassen können[3].
Die Auffassung des baden-württembergischen Sozialministeriums verlagert den Streit über Umfang und Reichweite des § 616 BGB und über die Verfassungsmäßigkeit der Ausnahmeregelungen für Ungeimpfte bei der Absonderung lediglich in die Betriebe und Arbeitsverhältnisse. Ob letztlich die Arbeitnehmer oder die Arbeitgeber die Zeche zahlen müssen oder der Staat auf einer verfassungswidrigen Regelung sitzen bleibt? Ausgang ungewiss!
Der Versuch, über den Geldbeutel eine „Freiwilligkeit“ der Impfung zu erzwingen unter Inkaufnahme massiver Störungen des Betriebsfriedens ist mehr dem Willen der erzieherischen Disziplinierung einiger aus Sicht der Regierung unbotmäßiger Mitbürger zuzurechnen, als einer wirksamen Strategie zur Pandemiebekämpfung. Das Netzwerk KRiStA lehnt den baden-württembergischen Ansatz als rechtlich nicht tragfähig ab.
[1] https://netzwerkkrista.de/2021/08/27/roland-stoebe-zur-zulaessigkeit-der-frage-des-arbeitgebers-nach-dem-impfstatus-des-arbeitnehmers/
[2] Beispielhaft: https://www.focus.de/gesundheit/coronavirus/focus-online-kolumne-von-alexander-kekule-2g-regel-ist-unsinn-weil-sie-auf-vollkommen-falscher-rki-behauptung-beruht_id_20910598.html
[3] https://netzwerkkrista.de/2021/08/27/roland-stoebe-zur-zulaessigkeit-der-frage-des-arbeitgebers-nach-dem-impfstatus-des-arbeitnehmers/
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